Kölner Kreuzigung
Stadttores, das zu Lochners Zeiten den Zugang in die Stadt von Nordwesten her ermöglichte und nun dekorativ eine Wand der U-Bahn-Station schmückte, beachtete er nicht. Am Ebertplatz stieg er auf dem gleichen Bahnsteig in eine U-Bahn, die ihn zum Hauptbahnhof brachte. Von hier ging er zu Fuß ein weiteres Mal zum Rathausplatz und betrat den Spanischen Bau, doch die Büroleiterin des Stadtrates, eine grauhaarige schlanke Frau, mit einem viel zu großen Seidenschal um den Hals, musste Marius enttäuschen. Walter Hochkirchen war nicht in seinem Büro.
Mehr per Zufall entdeckte Marius ihn im Café des Wallraf-Richartz-Museums, wo er an einem kleinen, schwarz gebeizten Tisch im angeregten Gespräch mit einem weißhaarigen, schwarz gekleideten Mann saß, den Marius sogar von hinten als Museumsdirektor Anton Malven erkannte. Der Privatdetektiv überlegte, ob er das traute Gespräch stören sollte, immerhin könnte es interessant sein zu erfahren, was der Direktor und Hochkirchen zu besprechen hatten. Aber er entschied sich dagegen. Immerhin wollte er etwas von Walter Hochkirchen, also war es klüger, taktisch und höflich vorzugehen. So ging er ein paar Schritte die schmale Gasse zwischen dem Gelände des früheren Kaufhauses Kurtz und dem Museum hinunter, gerade so weit, dass er die beiden Männer im Café aus einem regengeschützten Hauseingang heraus unauffällig im Auge behalten konnte.
Nach einer Viertelstunde stand Malven auf, gab Walter Hochkirchen die Hand und verließ das Café durch den Ausgang ins Foyer des Museums. Der Stadtrat blieb noch eine Weile sitzen und rührte nachdenklich in seinem Latte Macchiato. Marius nutzte die Gelegenheit, betrat das Café und drängelte sich durch eine Gruppe italienischer Schüler, die laut und angeregt über die Kuchenauswahl debattierte, hin zu Walter Hochkirchens Tisch fast am Ende des Raums. Der Stadtrat schaute überrascht hoch und brauchte einen Moment, ehe er den Detektiv erkannte. Vor ihm lag eine Zeitung, deren Schlagzeile ›Mann gekreuzigt – mitten in Köln‹ Marius in großen Buchstaben förmlich entgegensprang.
»Sie kennen Direktor Malven?« Hochkirchen nickte.
»Natürlich, ich sitze im Kulturausschuss und im Stifterrat des Museums. Und Sie? Sie suchen immer noch nach unserem Bild? Ich wäre nach wie vor interessiert, wenn Sie mich auf dem Laufenden hielten.« Das Gespräch ließ sich besser an, als Marius erwartet hatte.
»Das würde ich gerne tun. Aber vielleicht brauche ich zuerst Ihre Hilfe.« Stadtrat Hochkirchen faltete die Hände vor der Brust. »Eine Kleinigkeit. Ich müsste ein paar alte Unterlagen des Museums einsehen und da Sie im Stifterrat und im Kulturausschuss der Stadt sitzen, können Sie mir vielleicht weiterhelfen.«
»Da müssten Sie sich eigentlich an das Museum wenden. Arbeiten Sie nicht für Direktor Malven?«
Mist, dachte Marius.
»Direktor Malven möchte das Thema im Augenblick etwas bedeckter angehen.«
Marius deutete auf die Schlagzeile. »Verstehe.«
Walter Hochkirchen nickte und schlug die Fingerspitzen aneinander. »Sie überschätzen vielleicht meinen Einfluss, Herr Sandmann. Ich sitze zwar im Stifterrat des Museums und im Kulturausschuss, aber Einsicht in alte Akten kann ich Ihnen nicht gewähren. Worum geht es denn?«
»Vor allem um die Zeit nach 1970«, log Marius. Hochkirchen wurde hellhörig.
»Haben Sie eine Spur?«
»Ich verfolge einige Hinweise, doch Konkretes kann ich wirklich erst sagen, wenn ich die Unterlagen eingesehen habe.«
»Verstehe. Tut mir leid, aber ich kann Ihnen da nicht helfen.« Marius musste an Direktor Malven denken. Wie konnten Männer mit so wenig Elan so groß werden? Kurze Zeit später fand er sich auf der Straße wieder. Er war keinen Schritt weitergekommen. Nun musste er nach einer anderen Quelle suchen. Eine Möglichkeit gab es noch.
Hell bimmelten ein halbes Dutzend Glöckchen an einer Kette, als Marius die Tür zu dem Laden öffnete und hineinging. Er betrat ein Geschäft, das offensichtlich in den 60er-Jahren eingerichtet und seitdem kaum noch verändert worden war. Stattdessen sah das Innere des Ladens aus, als habe man ihn einfach immer weiter zugestellt. Bücher lagerten in den wandhohen Regalen, stapelten sich auf den Verkaufstischen, zwischen denen lediglich schmale Gänge frei geblieben waren, die durch weitere Bücherstapel zusätzlich verengt wurden.
Der Antiquar saß zusammengekauert hinter einem kleinen Schreibtisch neben einer grauschwarzen elektronischen Kasse,
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