Kölner Kreuzigung
bewahren, im Stoff des Sofas zu versinken. Der alte Mann beobachtete Marius aus kleinen, wachen blauen Augen. Auch wenn sein Körper sichtlich vom Alter gezeichnet war, wirkte Lutz Heilburg erstaunlich lebendig, wie Marius fand.
»Sie sind aus Köln«, stellte er fest. Marius nickte, wollte schon ansetzen, etwas zu sagen, aber Heilburg fuhr einfach fort. »Ganz schön weite Reise, um einen alten Mann zu besuchen, den Sie gar nicht kennen.« Er hielt kurz inne. »Oder kennen wir uns? Mein Gedächtnis ist nicht mehr das Allerbeste. Sagt mein Arzt. Und meine Tochter übrigens auch.« Er deutete mit dem Stock zur Wohnzimmertür, ungefähr in die Richtung, aus der klappernde Küchengeräusche kamen. »Ich glaube eher, dass sich so viel in meinen Erinnerungen angesammelt hat, dass ich einfach nicht mehr alles auf Anhieb wiederfinde. In 82 Lebensjahren bleibt ja doch einiges hängen. Hoffe ich zumindest.« Heilburg lachte leise. »Aber erzählen Sie mir, was ich für Sie tun kann. Viel wird es nicht sein. Ich bin ein alter Mann und nicht mehr zu allzu viel zu gebrauchen.«
Marius lächelte. Er saß leicht vornübergebeugt in seinem Sessel, auf Augenhöhe mit seinem Gesprächspartner, die Fingerspitzen beider Hände leicht gegeneinander gedrückt.
»Ach!« Der alte Mann schlug sich mit der Hand gegen die Stirn. »Verzeihen Sie mir bitte! Ich bin unhöflich! Wollen Sie etwas trinken? Kaffee vielleicht? Einen Likör?« Bei seiner letzten Frage lächelte Heilburg verschwörerisch.
»Keinen Alkohol, danke. Ein Wasser wäre nett.«
»Wasser?« Der alte Mann zuckte mit den Achseln. Dann brüllte er in Richtung Küche. »Margot! Der junge Mann hätte gern ein Glas Wasser und ein Likörchen! Sei so gut, Liebes!« Heilburg zwinkerte Marius listig zu. Wenige Augenblicke später kam Margot Heilburg mit einem Glas Wasser ins Wohnzimmer, das sie vor Marius abstellte. Danach öffnete sie einen alten Schrank im Wohnzimmer und goss einen guten Schluck Likör in ein kleines Glas, das sie ohne weiteren Kommentar vor ihrem Vater abstellte. Der nippte zufrieden an dem Glas. »Jetzt erzählen Sie aber einmal, warum Sie hier sind, junger Mann.«
»Ich brauche Ihr Gedächtnis.« Der alte Mann lachte kurz auf.
»Geben Sie es zu: Mein Arzt schickt Sie. Sie sollen herausfinden, ob ich meine Erinnerungen verkramt oder verloren habe.«
»Nein, ich bin Privatdetektiv.« Marius holte seine Lizenzkarte hervor und zeigte sie dem alten Mann, der sie neugierig und sorgfältig begutachtete. Er musste sie sich fast gegen die Nase halten, um sie lesen zu können. Um das Augenlicht von Lutz Heilburg stand es offenbar nicht zum Besten. Schließlich gab er Marius die Karte zurück.
»An was für einem Fall arbeiten Sie denn?«
»Ich bin auf der Suche nach einem alten Gemälde, einer mittelalterlichen Kreuzigungsszene.« Marius holte eine Kopie des Fotos hervor und zeigte sie Heilburg. Der nahm sie, betrachtete sie ebenso sorgfältig wie zuvor Marius’ Lizenz und gab sie dem Detektiv zurück. »Tut mir leid, junger Mann, ich verstehe nun wirklich nichts von Kunst.«
»Aber Sie haben sich einmal um Kunst gekümmert.«
»Ich?«
»Im Juni 1943 haben Sie eine Lieferung alter Gemälde aus dem Wallraf-Richartz-Museum in Empfang genommen. Als Vertreter einer Auslagerungsstelle hier im Ort.«
»Ja! Oben in den alten Stollen. Wenige Jahre zuvor wurde die Grube Gonderbach geschlossen. Gleich hier hinter dem Dorf. Da sie noch gut in Schuss war, die Grube, wurde da allerlei gelagert im Krieg. Irgendwann auch Kunst. Aber viel kann ich Ihnen dazu nicht sagen. Die Laster sind hier angekommen, haben Kisten abgeladen, wir haben sie quittiert und in den Stollen gebracht. Was wir da eingelagert haben, davon hatten wir keine Ahnung. Die Kisten blieben ja zu.«
»Aber Sie erinnern sich an diese Fahrt?« Marius zeigte Heilburg die Seite aus dem Anhang. »Das ist Ihre Unterschrift, oder?«
»Ja, ja, da haben Sie recht. Aber ich habe unter Dutzende solcher Papiere meine Unterschrift gesetzt.«
»Vielleicht war an diesem Tag etwas Besonderes? War irgendetwas anders als sonst?«
»Dafür müsste ich zuerst einmal wissen, welcher Tag das war. Geben Sie einmal her.« Heilburg nahm das Buch, Marius hatte Sorge, dass es zu schwer für ihn sei und die alten Knochen in den dünnen Beinen brechen würden, wenn er es fallen ließ. Doch der alte Mann hielt das Buch fest und sicher. Er las das Protokoll langsam, fuhr mit einem Finger die einzelnen Zeilen entlang. Am Datum blieb er
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