Kölner Kreuzigung
hängen. Dann lehnte er sich kurz zurück, wirkte, als suchte er in der Ferne, irgendwo oberhalb von Marius’ Kopf nach einer Erinnerung. Der Detektiv versuchte dem alten Mann ein wenig auf die Sprünge zu helfen.
»29. Juni ’43. Ein Transport aus Köln. Vermutlich flache Holzkisten mit Bildern drin.«
»Ja, ich erinnere mich.« Marius beugte sich ein Stück weit vor. »Ich war am Abend noch mit einem Mädchen verabredet. Anna, ein hübsches Ding. Zu meiner Zeit hatte ich ja auch meine Liebchen, wissen Sie.« Marius lächelte kurz, aber er war zu sehr auf seinen Fall konzentriert, als dass er auf das Späßchen eingehen konnte. »Das war meine erste Fuhre, die aus Köln kam. Mein Chef hatte mir noch eingeschärft, ja freundlich zu denen zu sein. Am Tag vorher hatte ich mich mit einem Fahrer angelegt, weil er zu langsam abgeladen hatte. Deswegen hatten wir das dieses Mal selber übernommen. Ich glaube, die meisten Fahrer und Wachmänner waren froh, bei uns hier draußen zu sein. Weit ab von den Bomben und dem Krieg. Hier war damals ja noch alles friedlich. Deswegen kamen die ja alle zu uns mit ihren Kunstschätzen. Aber diese beiden, die waren anders. Ich hatte den Eindruck, denen konnte es nicht schnell genug zurück in ihren Krieg gehen. Das war ein ganz schön zackiger Kerl, dieser Offizier.«
Heilburg beugte sich nach vorne, um die Namen auf dem Protokoll zu lesen.
»Schulz genau. Hat mich gleich zu Beginn zur Sau gemacht, weil ihm alles nicht schnell genug ging. Ich habe dann das Protokoll getippt, während unsere Leute abgeladen haben, er hat es unterschrieben und die beiden Männer sind wieder abgehauen. Komischer Typ. Komische Augen. Ich mochte den nicht.« Er trank einen Schluck von seinem Likör. »Ich nehme an, Sie vermuten, dass das Bild bei diesem Transport dabei war?«
»Es wäre möglich. Das Bild ist im Krieg verschollen. Kennen Sie das vielleicht? Haben Sie dieses Zimmer schon einmal gesehen?« Marius zeigte Heilburg auch noch das Foto von 1970. Heilburg betrachtete es ebenso sorgsam wie alles andere, gab er es Marius zurück und schüttelte den Kopf.
»Nein, und wie ich schon sagte: Wir haben die Kisten in Empfang genommen, im Stollen verstaut, und nach Kriegsende sind die so wieder abgeholt worden, wie sie da standen.«
»Verschwunden ist in der Zeit nichts?« Der alte Mann schaute Marius empört an.
»Na, hören Sie mal! Wir waren zwar nur vom Dorf, aber wir wussten schon, dass man uns die Kunstschätze des Reiches anvertraut hatte. Unserer Verantwortung waren wir uns immer bewusst, und wir haben jede einzelne Kiste wieder an ihren Eigentümer zurückgegeben.« Wieder nahm er einen Schluck. »Mit ihrem Inhalt.« Er knallte das Glas auf den Tisch.
»Und die beiden Soldaten haben Sie nie wiedergesehen?«
»Nein, nie. Ich war auch ganz froh, als die weg waren.«
»Die hatten es eilig, sagten Sie?«
»Auf jeden Fall. Ich natürlich auch. Wegen Anna. Deswegen war mir das ganz recht.«
»Und Ihnen ist nicht aufgefallen, dass die beiden Männer keine Bestandsliste ihrer Fahrt abgegeben haben?« Heilburg zögerte kurz mit der Antwort. »Seltsam kam es mir schon vor. Aber sehen Sie: Ich war 17 Jahre alt damals, hatte gerade am Morgen einen furchtbaren Anschiss bekommen, und dann kam dieser Hauptmann an, und glauben Sie mir: Das war keiner, mit dem man sich anlegte. Schon gar nicht als kleiner Hitlerjunge. Glauben Sie, die zwei haben etwas mit diesem Bild zu tun? Haben die es geklaut?«
»Ich weiß es nicht. Möglich.«
»Sie haben doch deren Namen. Da finden Sie sicher Auskünfte in einem alten Wehrmachtsarchiv.«
»Ich weiß, Sie waren allerdings einfacher zu finden.« Marius lächelte.
»Ja, ich bin in meinem Leben nicht weit herumgekommen. Aber hier ist es auch nett.«
24
Zurück in Köln nahm sich Marius zuerst Zeit, das Büro und vor allem die Bürotür gründlich nach Einbruchsspuren abzusuchen. Doch selbst als er Schloss und Türrahmen mit einer Lupe aus Brocks Schreibtisch betrachtete, konnte er keine Spuren entdecken. Wenn Merheimer in das Büro eingebrochen war und davon war Marius überzeugt, dann war er ein echter Profi. Interessant, welche Fähigkeiten die Mitarbeiter der Hochkirchen Beteiligungsgesellschaft besaßen. Er würde sich beizeiten intensiver mit Merheimer und seinem Hintergrund beschäftigen, beschloss Marius.
Kurz überlegte er, ob er seine Wohnung überprüfen sollte, verwarf den Gedanken allerdings. Dank einer übervorsichtigen Vormieterin besaß er neben
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