Kölner Kulissen
versteht zu feiern. Das Gegenteil von Paula und deshalb die ideale Ergänzung. An manchen Tagen. Heute sicher nicht. Ihre E-Mail liest Paula trotzdem.
hab mit dieter über dich gesprochen. er dreht ja bald die neue staffel von stadt am fluss, hab ich dir doch erzählt, oder? egal, er mag deine filme, sagt er. will wahrscheinlich was von dir, aber keine sorge, dieter ist ’n lieber, sagst ihm einfach, hier ist schluss, dann zieht er den schwanz ein (haha!). er will sich bei dir melden.
küsschen
j
Dieter Bomke und seine Endlosserie »Stadt am Fluss«. Julia ist als Vera Martell seit der zweiten Staffel dabei. Mittlerweile hat Vera Martell zwei Scheidungen, eine Fehlgeburt und einen Mordanschlag überstanden. Den größten Teil ihres Einkommens verdient Julia mit dieser Rolle. Paula hat sich mit Anselm die ersten beiden Folgen angesehen. Noch vor dem Abspann der zweiten haben sie beschlossen, dass das mehr als genug ist.
Was für eine Rolle mag Bomke ihr anbieten? Wählerisch darf sie eigentlich nicht sein. Doch darüber kann sie jetzt nicht nachdenken. Und Anselm zu schreiben gelingt ihr auch nicht. Sie spürt den Rucksack hinter ihrem Rücken.
Paula steht vom Schreibtisch auf, atmet tief ein und trägt den Rucksack in die Küche. Dort stellt sie ihn auf den Tisch und starrt ihn an. Im Radio läuft schon wieder Werbung. Sie will ihre Stimme nicht noch einmal hören und stellt das Radio aus. Dann greift sie endlich zum Deckel des Rucksacks. Sie zieht an dem Reißverschluss darunter, dabei verhaken sich dessen Zähne. Ein willkommener Vorwand, den Rucksack geschlossen zu lassen und die Beseitigung der Beweisstücke zu verschieben.
Schon will Paula das Krokodillederding in die hinterste Ecke des Küchenschranks verbannen, als sich der Reißverschluss doch noch öffnet. Fast wie von selbst, begleitet von einem angenehmen Surren, trennen sich die Zähne voneinander. Oben liegt ihre Handtasche, darunter das Kleid und die hochhackigen Schuhe. Sie legt die Handtasche auf den Tisch und wirft die Schuhe auf den Boden. Als sie das Kleid gegen das Sonnenlicht hält, sieht sie die Flecken sofort. Vom Ausschnitt bis über die Hüften reichen die roten Spritzer. Paula beginnt zu zittern. Das schwere Aroma des Weins steigt ihr in die Nase. Und der Rauch von Vicos Zigaretten.
Hinter dem beinahe durchsichtigen Stoff glaubt sie eine Bewegung wahrzunehmen. Sie lässt das Kleid ein paar Zentimeter sinken und sieht durch die Balkontür nach draußen. Auf dem Balkon gegenüber pendeln die Schnüre eines Perlenvorhangs hin und her. Als wäre gerade jemand hineingegangen. Sie denkt an den Mann in den Khakishorts, geht zur Balkontür und zieht die Gardine davor.
Drei Minuten später eilt sie in Jeans und T-Shirt durchs Treppenhaus nach unten. Am Altpapiercontainer sieht sie sich kurz um, bevor sie das Drehbuch hineinstopft. Sie ist allein auf der Straße. Zwei Schritte bis zum Glascontainer. Der ist schon wieder überfüllt. Rings herum reihen sich Flaschen und Gläser. Winzige Scherben knirschen unter Paulas Schuhsohlen. Sie zieht die leere Weinflasche aus dem Rucksack. Doch es ist unmöglich, sie durch eine der runden Öffnungen des Containers zu schieben. Aus jedem dieser Löcher ragen bereits Flaschen. Paula flucht.
»Das ärgert mich auch«, hört sie jemanden sagen. »Total verstopft. Schon zum zweiten Mal diesen Monat.«
Sie fährt herum, die Flasche noch in der Hand.
»Schweinerei, oder?«, sagt der Mann vom Balkon. Er trägt noch immer die Khakishorts. Doch anstelle des gerippten Unterhemds hat er ein kurzärmeliges hellblaues Hemd angezogen.
»Wie bitte?« Mehr bringt Paula nicht heraus.
»Die Container! Nicht geleert, schon zum zweiten Mal diesen Monat! Normalerweise immer montags zwischen sieben und halb acht.« Er tippt auf seine Armbaduhr. »Jetzt ist schon kurz nach halb neun!«
»Tatsächlich?«
»Da fragt man sich doch, wofür man Steuern zahlt, oder?«
Anstatt zu antworten, bückt Paula sich und stellt die Weinflasche neben die anderen Flaschen auf den Bürgersteig. Sie spürt den Blick des Mannes. Und verflucht sich dafür, dass sie unter dem dünnen T-Shirt keinen BH trägt. Den Rucksack gegen die Brust gepresst, richtet sie sich wieder auf.
»Gestern gefeiert?« Er grinst sie an.
»Ein bisschen.« Der Rucksack zieht ihre Arme nach unten. Wie kann ein leerer Rucksack so schwer sein?
»Ich kenne Sie von irgendwoher.«
Wenn sie antwortet, sie sei Schauspielerin, wird das Gespräch noch länger dauern.
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