Kölner Kulissen
Mündung seiner Glock an die Schläfen drücken.
Er tut es nicht. Doch es beunruhigt ihn, dass er diesen Impuls in letzter Zeit häufiger spürt. Erst gestern Abend im Club Royal, als Slobo einfach nicht die Klappe halten wollte. Immer wieder musste er davon anfangen, wie er und Zoltan bei dem Albaner abkassiert hatten. Als ließen sich die Mädchen davon beeindrucken, wie man jemandem die Finger bricht. Am liebsten hätte Zoltan Slobo etwas gebrochen. Vielleicht hätte er dann endlich den Mund gehalten. Doch dann hat sich Dragan an Slobo gewandt. In seiner höflichen, aber unmissverständlichen Art hat er Slobo gebeten, still zu sein. Mit der Spitze seines Gehstocks hat er Slobos Kinn berührt und seinen Unterkiefer nach oben geschoben. Wortlos und sanft. Das hat gewirkt. Mindestens eine halbe Stunde lang hat Slobo kein Wort gesprochen.
Zoltan bewundert Dragan für seine Beherrschung.
Und er fürchtet sie.
Beim nächsten Hupen drückt er die Zigarette auf dem Fensterbrett aus. Er wirft sie hinunter auf die Straße und schließt das Fenster. Dann setzt er Teewasser auf und geht ins Wohnzimmer. Aus dem Bücherregal zieht er neben einer Reihe historischer Romane einen Schuhkarton hervor. Er ist Martha dankbar dafür, dass sie lieber liest, als fernzusehen. Zu Hause kann er keinen Lärm gebrauchen. Und Fernsehen oder Radio sind für ihn nichts anderes als Lärm. Marthas Romane würde er selbst nie lesen. Zoltan besitzt genau vier Bücher: »Heimische Schmetterlinge«, »Insekten entdecken«, die Bibel und einen Autoatlas.
Er stellt den Schuhkarton auf den Schreibtisch. Für die Arbeit an seiner Sammlung hat er den Tisch unters Fenster gerückt. Zoltan arbeitet am liebsten bei Tageslicht. Seine Augen werden immer schlechter, doch die Brille trägt er nur selten. Bei der Arbeit für Dragan ist sie eher hinderlich. In diesem Geschäft nehmen die Leute Brillenträger nicht ernst. Sie zollen Zoltan nicht den nötigen Respekt, wenn er ihnen mit Brille gegenübertritt. Manchmal ist er froh, Slobo mit seinen gesunden Augen neben sich zu wissen. Auch wenn er sich das nicht gern eingesteht.
Nun setzt er die Brille auf, ein schweres Gestell mit breitem Rahmen. Der Optiker hat versichert, dieser Stil sei jetzt wieder hip. Aber Martha hat gelacht, als er damit nach Hause gekommen ist. Zoltan zieht die Schublade des Schreibtischs auf. Er nimmt eine Lupe, eine Pinzette und eine Schachtel mit Nadeln heraus. Dann öffnet er den Schuhkarton. Vor ihm liegt die Beute seiner letzten Jagd.
Am Samstagnachmittag ist er mit Martha ins Bergische Land gefahren. Sie ist mit ihren Inlineskates gefahren, während Zoltan Wiesen und Waldränder durchstreift hat. Ein Dukatenfalter, ein Admiral und ein Kaisermantel sind ihm ins Schmetterlingsnetz gegangen. Der Admiral hat ihn überrascht. Meistens sieht man sie erst im Herbst. Zoltan hat bereits ein Exemplar in seiner Sammlung, doch dieses ist ein wenig größer. Er wird es also gegen das alte austauschen. Der Dukatenfalter wird sich hervorragend im Schaukasten der Bläulinge machen. Zwischen dem Kleinen Ampferfeuerfalter und dem Zahnflügel-Bläuling ist der richtige Platz für ihn.
Das Prachtstück von Zoltans letzter Jagd ist jedoch der Kaisermantel. Mit der Pinzette hebt Zoltan ihn aus dem Schuhkarton. Durch die Lupe betrachtet er die leuchtend rotbraunen Flügel. Es ist ein Männchen. Das erkennt er an den dunklen Streifen auf den Adern der Vorderflügel. Zoltan legt das Maßband an und misst die Spannweite. Über sieben Zentimeter. Voller Stolz hat er Martha den Kaisermantel auf dem Parkplatz am Waldrand gezeigt. Vom Inlineskating ist sie verschwitzt gewesen. Noch im Auto haben sie sich geliebt.
Er steht vom Stuhl auf, um den Schaukasten von der Wand zu nehmen. Zunächst muss er dem Kaisermantel einen Ehrenplatz frei machen. Danach wird er präpariert und aufgespießt. Auf dem Herd pfeift der Wasserkessel. Zoltan lässt den Schaukasten an der Wand hängen und geht in die Küche. Er gießt Tee auf, kräftigen Assam. Vom Wasserdampf beschlägt seine Brille. Das Telefon klingelt. Zoltan eilt in den Flur und stößt sich am Bein des Telefontischs den kleinen Zeh. Verdammte Augen. Unterhalb des Brillengestells verschwimmt alles.
»Was?«, brüllt er in den Hörer.
»Hier ist Mila.«
Sie klingt außer Atem. Zoltan vergisst seinen Zorn über die Störung und den angeschlagenen Zeh.
»Was ist los?«, fragt er.
»Cramer ist tot.«
»Wer?«
»Der Regisseur.«
»Vico?«
»Ich hab ihn
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