Kölner Kulissen
zwei Schritte näher auf das Grab zu. Dann verschluckt sie die Menge.
»Erkennst du denn sonst jemanden?«, fragt Hanna.
Weyrauch verneint.
»Ich dachte, du wärst Cineast?«
»Bin ich auch. Dass ich hier niemanden kenne, zeigt nur, dass hier keine Stars sind. Cramers letzte Filme waren ja wohl nicht besonders erfolgreich.«
Hanna nickt. Das gehört zu den ersten Dingen, die sie recherchiert hat. Vorher hat sie sich von Benrath, dem Dezernatsleiter, zurechtstutzen lassen. Benrath hat getobt. Aus gutem Grund, findet Hanna. So ein grober Fehler wie mit Cramers Putzfrau ist ihr noch nie passiert. Die Personalien einer Zeugin nicht zu notieren! Sie fragt sich, ob ihr Vater schon davon gehört hat. Erfahren wird er es auf jeden Fall. Hanna kennt keinen Ort, an dem sich mehr das Maul über Kollegen zerrissen wird, als das Polizeipräsidium.
»Ja«, sagt sie. »Seit Jahren nur noch Flops. Zuletzt hat Cramer gar nicht mehr fürs Kino gearbeitet, hat nur noch billige Fernsehproduktionen gedreht. Deshalb komme ich ja darauf …«
»Worauf?«
»Ob außer uns vielleicht noch andere Gäste aus … sagen wir geschäftlichen Gründen hier sind. Ich frage mich, wie Cramer seinen Lebensstil finanziert hat. Gestern Abend hab ich noch seine Konten geprüft.«
»Und was verdient ein erfolgloser Regisseur?«
»Nicht mehr als ein erfolgloser Kommissar.«
»Zum Glück ist unser Verdienst nicht erfolgsabhängig.«
»Jedenfalls ist er nicht so hoch, dass wir uns davon eine Villa in Marienburg leisten könnten. Und genau darum geht es mir.« Sie kickt einen Kieselstein beiseite. Der Stein fällt in ein offenes Grab.
»Und eine Kokainabhängigkeit könnten wir uns erst recht nicht leisten«, meint Weyrauch. »Piontek sagt, Cramers Nasenschleimhäute haben sich im kolumbianischen Schneesturm beinahe aufgelöst.«
»Meinst du, er hat gedealt?«
»Du glaubst es, oder?«
»Es würde einiges erklären.«
»Seinen teuren Lebenswandel schon«, sagt Weyrauch. »Aber auch seine Ermordung?«
»Wäre das so ungewöhnlich?«
»Ganz und gar nicht. Aber glaubst du, ein Kunde zieht Cramer eins über den Schädel und klaut ihm seinen Stoff?«
»Nein. Konsumenten bringen ihre Dealer eher selten um. Schlecht für die Versorgungslage.«
»Also?«
»Vielleicht die Konkurrenz.«
Weyrauch seufzt und zieht eine Tüte Gummibärchen aus der Tasche. »Hanna, das ist mir irgendwie zu …« Er sucht nach dem passenden Wort. Dabei wirft er sich eine Hand voll Gummibärchen in den Mund. »… zu spekulativ!«
Hanna starrt auf die knisternde Tüte in Weyrauchs Hand. »Du isst diese Dinger? Jetzt, hier?«
»Helfen mir beim Denken.« Er hält ihr die Tüte hin. »Greif ruhig zu!«
»Nein, danke.«
»Dr. Funke meint zwar, Weingummi wäre Gift für meinen Darm, aber manchmal geht’s nicht ohne.« Er schüttelt noch ein paar Gummibärchen aus der Tüte in seine hohle Hand.
Hanna bemerkt, dass jemand von den Trauernden zu ihnen herübersieht. Die Zeremonie scheint beendet zu sein. Einige Trauergäste treten noch zum Grab vor, um Abschied zu nehmen. Die meisten haben das bereits hinter sich gebracht. In verschiedenen Richtungen verteilen sie sich über den Friedhof. Einige kommen an Hanna und Weyrauch vorbei. Darunter sind auch die beiden Frauen, die Hanna aus dem Fernsehen zu kennen glaubt. Die blonde hält den Blick gesenkt und weint. Die dunkelhaarige sieht Hanna kurz an und lächelt schwach. Ein Lächeln aus Verlegenheit vielleicht. Hanna kennt das von sich selbst.
Wenn sie nichts zu sagen weiß, weil Worte dem Augenblick nicht gerecht werden können. Bei ihrer Hochzeit konnte sie nur stumm lächeln, als der Strom der Gratulanten nicht abreißen wollte. Neben ihr redete Marek pausenlos. Mit den immer gleichen Sätzen bedankte er sich bei Familienmitgliedern, Freunden und Nachbarn. Ihr fehlten einfach die Worte. Am nächsten Tag fragte Marek, warum sie sich den Gästen gegenüber so unhöflich benommen habe. Ihre Erklärungsversuche lösten den ersten Ehekrach aus.
Warum muss sie jetzt daran denken? Es ärgert Hanna, dass eine Trauernde sie an ihre Hochzeit erinnert. Das nimmt sie der dunkelhaarigen Frau übel, die jetzt den Blick senkt. Als sie an ihnen vorbeigeht, streift sie Hannas Arm. In dieser Sekunde weiß Hanna, aus welchem Film sie die Frau kennt. In Cramers mittelmäßigem Krimi »Letzte Zweifel« hat sie die Hauptrolle gespielt: eine Schwangere, die den Vater ihres ungeborenen Kindes tötet. Hanna hat den Film während ihrer
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