Kölner Kulissen
gegen ihren Vater nicht einfach abwaschen. Diese Abscheu, die sie nun schon seit Tagen mit sich herumträgt. Erst jetzt wird ihr bewusst, wie sehr seine Meinungen und sein Verhalten sie geprägt haben. Viel stärker als die Erziehung durch ihre Mutter, obwohl sie mit ihr doch viel mehr Zeit verbracht hat.
Sie stellt das Wasser ab, wäscht sich das kurze Haar und seift ihren Körper ein. In der Küche hört sie Marek den Kühlschrank öffnen. Eben hat er im Wohnzimmer gesessen und gelesen. Sie weiß immer noch nicht, ob Marek derjenige ist, dem sie von ihrem Kummer erzählen will. Gerade wünscht sie sich nichts sehnlicher, als sich mit ihm zu versöhnen. Warum kommt er jetzt nicht einfach zu ihr unter die Dusche? Sie hat die Badezimmertür offen gelassen. Oft genug hat er das als Einladung verstanden. Und genauso hat sie es heute gemeint.
Jetzt hört sie, wie er eine Flasche entkorkt. Sie lauscht, ob sich seine Schritte dem Badezimmer nähern. Vielleicht steht er gleich mit zwei Sektgläsern vor der Duschkabine, um sie davon zu überzeugen, dass sie nun beide lange genug geschmollt haben. Und dann werden sie hier, unter der Dusche, ihre Versöhnung feiern.
Doch seine Schritte entfernen sich in Richtung Wohnzimmer. Kurz darauf hört Hanna die Polsterung von Mareks Lieblingssessel quietschen. Zwei Sekunden später ertönt die Erkennungsmelodie der Fernsehnachrichten. Sie dreht das Wasser wieder auf und seift sich ab. Nach dem Duschen betrachtet sie sich lange im Spiegel. Zum ersten Mal benutzt sie die Feuchtigkeitslotion, die ihre Mutter ihr zu Weihnachten geschenkt hat. Seit Jahren schwört Hannas Mutter auf ihre Wirkung. Bisher hat Hanna sich dagegen gewehrt, dasselbe Pflegeprodukt zu benutzen wie eine über zwanzig Jahre ältere Frau. Sie schnuppert an ihrer eingecremten Haut. Riecht gar nicht schlecht, muss sie gestehen, nach Mandel und Honig. Sie schlingt sich ein Handtuch um den Rumpf und fragt sich, wie Marek dieser neue Geruch an ihr gefallen wird. Barfüßig geht sie den Flur entlang und späht durch den Türspalt ins Wohnzimmer. Marek sitzt im Sessel und starrt auf den Fernseher. In einer Hand hält er die Fernbedienung, in der anderen ein Glas Rotwein. Fast eine Minute bleibt sie dort stehen, doch er sieht nicht herüber. Sie könnte zu ihm gehen und sich auf die Sessellehne setzen. Oder einfach auf seinen Schoß.
Stattdessen geht sie in die Küche, gießt sich ebenfalls ein Glas Wein ein und legt ihre Notizen auf den Küchentisch.
SECHZEHN
Seit zehn Minuten starrt das Kind sie schon an. Währenddessen hat sich der Bart aus Tomatensoße auf seiner Oberlippe um seinen ganzen Mund und bis zum Kinn hinunter ausgebreitet. Ein weiterer Klecks klebt auf seinem rechten Nasenflügel, klebt dort so beharrlich, wie der Blick des Kindes auf Paula haftet. Eine Frau jenseits der fünfzig, vielleicht seine Großmutter, sitzt dem Jungen gegenüber. So wenig wie sie sich um die Tischmanieren ihres Enkels kümmert, so wenig beachtet sie die Portion Spaghetti vor sich. Seitdem Paula das Restaurant betreten hat, starrt die Frau ununterbrochen auf das Sudoku in einer Illustrierten.
Normalerweise hat Paula für solche Rätsel nichts übrig. Und gerade hat sie sowieso mehr als genug echte Probleme zu lösen. Aber je öfter sie zu der Frau hinübersieht, desto verlockender erscheint es ihr, sich einer solchen mathematischen Herausforderung zu stellen. Einer Aufgabe, bei der allein logisches Kombinieren zum Erfolg führt. Der Gegenstand ihrer eigenen Grübeleien folgt keinerlei Logik. Letzte Nacht hat sie bis zum Morgen wach gelegen und nachgedacht. Ohne befriedigendes Ergebnis. Vielleicht liegt es an ihrem übernächtigten Aussehen, dass der Junge am Nebentisch sie so ungeniert anstarrt.
Ohne den Blick von Paula abzuwenden, schiebt sich das Kind die letzte Gabel Spaghetti in den Mund. Paula bestellt ihr zweites Bier. Anselm verspätet sich. Vielleicht findet er das Restaurant nicht. Paula ist selbst zum ersten Mal hier. In den Gelben Seiten hat sie nach einem möglichst abseits der Szenelokale gelegenen Treffpunkt gesucht. So ist sie hier in Kalk gelandet, im Mykonos. Interessanterweise hat sie auf der Speisekarte des Mykonos kein einziges griechisches Gericht entdeckt. Die Frau mit der Illustrierten und der soßenverschmierte Junge sind die einzigen anderen Gäste an diesem Mittwochabend.
Die Kellnerin, ein kaum achtzehnjähriges wasserstoffblondes Mädchen mit einem Piercing zwischen den Augenbrauen, tauscht das leere
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