Kölner Kulissen
Kölschglas vor Paula gegen ein volles aus. Danach widmet sie sich wieder der Fellpflege ihres Rauhaardackels. Der Hund sitzt neben der Theke in einer Plastikschale. Badeschaum quillt über den Rand. Paula setzt das Glas an die Lippen und leert es zur Hälfte. Vielleicht kann sie sich ja müde trinken. Sie will Anselm fragen, ob sie heute bei ihm übernachten darf. Auch das könnte ihr dabei helfen, Schlaf zu finden.
Stundenlang hat sie letzte Nacht vor ihrem Computer gesessen und Ulmers neue Nachricht angestarrt.
Ich bin enttäuscht. So lange lässt du mich auf eine Antwort warten. Wenn ich ungeduldig werde, mache ich manchmal dumme Sachen. Lass das nicht zu.
Paula wird selbst ungeduldig, denn Anselm lässt sie lange warten. Schwer hat sie mit sich gerungen, ob sie ihn um Rat bitten soll. Dafür wird sie ihm einen Teil der Geschichte erzählen müssen. Selbstverständlich, ohne ihre eigene Rolle bei Vicos Ableben zu erwähnen. Anselm betont oft genug, sein Aufgabengebiet sei die Suche nach Problemlösungen. Paula wird ihm eine Rechnung mit mehreren Unbekannten vorlegen. Letzte Nacht hat sie im Internet mehrere Artikel über den echten Edgar G. Ulmer gelesen und ausgedruckt. Vielleicht findet sich ja in einem dieser Artikel eine Spur zu ihrem Erpresser.
Auf YouTube hat Paula einen Filmausschnitt aus Ulmers »The Black Cat« mit Boris Karloff und Bela Lugosi in den Hauptrollen entdeckt. Es ist dieselbe Szene, an die sie sich schon neulich erinnert hat: Karloff sitzt vor einem Schachbrett, kühl und überheblich. Währenddessen steht Lugosi auf der anderen Seite des Tisches und redet erregt auf ihn ein. Paula hat sich richtig erinnert: Der stärkste Moment der Szene ist, als Karloff nach einer der beiden Damen des Schachspiels greift und sie auf frivole Art mit dem kleinen Finger streichelt. Dabei fordert er Lugosi zu einem Schachspiel um das Leben einer jungen Frau heraus. Zum ersten Mal ist Paula aufgefallen, wie sehr Anselm Boris Karloff ähnelt. Weniger in seiner berühmten Rolle als Frankensteins Monster als vielmehr in Filmen wie diesem, als düsterer Gentleman. Die hohe Stirn, die ausgeprägten Wangenknochen des Horrordarstellers der dreißiger Jahre – das ist Anselm ohne Brille. Sie hat sich an Anselms Verhalten gegenüber dem unglückseligen Marco neulich Abend erinnert. Hat es nicht dem arroganten und sadistischen Auftreten des Schachspielers in »The Black Cat« geähnelt?
Vielleicht hat Anselm sie zu erreichen versucht. Sie wirft einen Blick auf das Display ihres Telefons. Tatsächlich hat sie ein Klingeln überhört. Doch auf dem Display liest sie nicht Anselms, sondern Richards Namen. Die Idee, Richard um Geld zu bitten, geht ihr noch immer nicht aus dem Kopf. Warum hat sie ihr Treffen vorgestern eigentlich so abrupt beendet? Richard hat gefragt, wer der Mann sei, mit dem er sie gesehen hat, na und? Ja, vielleicht ist er eifersüchtig. Aber warum freut sie sich nicht einfach darüber?
Und nun schon wieder ein Anruf. Offenbar ist Richards Interesse an ihr neu entflammt. Es liegt an ihr, ob sie darauf eingeht oder nicht. Aber worüber hat sie sich so geärgert? An seiner Trinkerei wird sie niemals etwas ändern, das hat sie längst eingesehen – also besteht auch kein Grund, sich darüber aufzuregen. Und eines bleibt festzuhalten: Von ihren Freunden und Bekannten ist Richard der Einzige, der ihr kurzfristig finanziell helfen könnte, ohne in Schwierigkeiten zu geraten. Selbst Anselm mit seinem Professorengehalt wird ihr nicht auf die Schnelle zwanzigtausend Euro in bar geben können. Erst recht nicht, nachdem er gerade die Wohnung gekauft hat. Trotzdem steckt sie das Telefon wieder ein, ohne Richard anzurufen. Dabei fällt ihr auf, dass sich Vincent seit ihrer gemeinsamen Nacht nicht gemeldet hat – so wie sie selbst auch nicht. Irgendwie erleichtert sie das. Vincent ist niemand, den sie jetzt um sich haben möchte.
Sie sieht zur Tür, die in diesem Moment geöffnet wird. Doch es ist nicht Anselm. Ein breitschultriger Mann, das halblange dunkle Haar zurückgekämmt, geht zur Theke und bestellt schwarzen Tee. Ein Südländer, vielleicht Türke, Italiener oder Grieche. Doch zum Restaurant Mykonos scheint er so wenig zu gehören wie Paula, denn auch für ihn unterbricht die Kellnerin die Fellpflege ihres Rauhaardackels nur ungern. Der Junge mit dem tomatensoßenverschmierten Gesicht hat seinen Blick nur kurz dem Mann zugewandt. Jetzt starrt er wieder Paula an. Und damit sind es zwei Augenpaare, die
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