Kölner Kulissen
sie ins Visier genommen haben. Denn auch der Mann sieht Paula von der Theke her unverwandt ins Gesicht.
So viel also zu abgelegenen Restaurants, in denen mich niemand kennt, denkt Paula. Sie zieht ihre Marlboros aus der Handtasche. Doch kaum hat sie eine Zigarette aus der Schachtel gefingert, als der Hund in der Plastikwanne zu bellen beginnt. Die Kellnerin sieht zu Paula herüber. Ihre Augenbrauen ziehen sich zusammen, sodass das Piercing dazwischen in Paulas Richtung geschoben wird. Einen halben Zentimeter nur, und dennoch sieht es bedrohlich aus. Jetzt starren vier Augenpaare Paula an: die des Jungen, des Mannes, der Kellnerin und des Hundes. Nur die ältere Frau schaut weiter auf das Rätsel in ihrer Illustrierten.
»Ist verboten«, sagt die Kellnerin.
Wie zur Bestätigung dieser an Prägnanz nicht zu überbietenden Feststellung bellt der Hund ein weiteres Mal. Dabei löst sich Badeschaum von seiner Schnauze. Sekundenlang schwebt er wie eine Wolke zwischen Paula und den anderen in der Luft. Dann landet der Schaum sanft auf dem braunen Linoleumfußboden.
Paula riecht an der Zigarette, zerbricht sie, trinkt ihr Kölsch aus und lässt die beiden Hälften der Zigarette in das leere Glas fallen.
»Müssen die Kippe ja nicht gleich kaputt machen«, mault die Kellnerin. »Noch ’n Kölsch?«
Paula nickt.
»Ich wollte auch gerade eine rauchen gehen«, sagt der Mann. Er nimmt sein Teeglas und kommt an Paulas Tisch. »Begleiten Sie mich nach draußen?«
»Ich will gar nicht rauchen«, sagt Paula.
»Ach, ist das etwa eine Art, es sich abzugewöhnen? Ziemlich masochistisch, oder?«
Paula denkt noch über eine Antwort nach, als sich der Mann schon an ihren Tisch gesetzt hat.
»Entschuldigen Sie, ich erwarte noch jemanden«, ist alles, was ihr einfällt, so überrumpelt ist sie.
»Ich gehe gleich wieder«, sagt er und nippt an seinem Tee. Er spricht nahezu akzentfrei. Lediglich das R rollt er ein wenig zu stark, um für einen Deutschen durchzugehen. Die Kellnerin scheint es nicht zu interessieren, ob ihre männlichen Gäste die weiblichen belästigen. Sie stellt ein neues Kölsch vor Paula und widmet sich dann wieder ihrem Hund. Mit einem grünen Frotteewaschlappen säubert sie ihm die Ohren, was der Hund sich gern gefallen lässt. Das aus der Tiefe seiner Brust aufsteigende Geräusch ähnelt dem Schnurren einer Katze.
»Um das gleich klarzustellen«, sagt der Mann, »ich will kein Autogramm von Ihnen, Frau Farkas.«
»Sie kennen mich?« Sie weiß, wie albern diese Frage klingt. Aber seit Jahren bemüht sie sich, ihre Bekanntheit nicht als selbstverständlich hinzunehmen. Einerseits betrachtet sie das als Schutz vor Überheblichkeit. Andererseits – und dieser Punkt ist der entscheidende – hat ihr Bekanntheitsgrad ja tatsächlich stark abgenommen.
»Ja, wir hatten gemeinsame Freunde«, sagt der Mann.
Er sieht gar nicht unsympathisch aus, findet Paula. Sein Brillengestell im Retrolook mit besonders breitem Rahmen ist zwar ein wenig bemüht modern. Und das Gel in seinem zurückgekämmten Haar wirkt eher wie eine unfreiwillige Hommage an die Achtziger als wie ein bewusster Versuch, einen neuen Trend zu kreieren. Aber aus den Falten um Mund und Augen des Mannes spricht etwas zu Paula. Es ist das Gesicht eines Mannes, dem man sich gern öffnet. Hinter seinen durch die dicken Brillengläser vergrößerten Augen scheint Verständnis zu liegen. Oder hat sie diesen Eindruck nur, weil er gerade gemeinsame Freunde erwähnt hat?
»Und wer sind diese Freunde?«, fragt sie.
»Waren« , korrigiert der Mann. »Sie sind nicht mehr.«
Paulas Nacken versteift sich. Anstatt etwas zu erwidern, wirft sie einen Blick auf die anderen Personen im Restaurant. Aber niemand sieht mehr zu ihnen herüber, nicht einmal der kleine Junge. Gerade schiebt ihn die Frau mit der Illustrierten in Richtung der Toiletten. Und die Kellnerin trägt das Schaumbad samt Hund in die Küche.
»Sie fragen sich vielleicht, warum diese Freunde nicht mehr unter uns sind«, sagt der Mann.
Vor allem fragt sich Paula, wer ihr da gegenübersitzt. Dass der Mann von Vico und Julia spricht, daran zweifelt sie nicht. Da sie nichts erwidert, spricht er einfach weiter. Seine sonore Stimme klingt angenehm.
»Freundschaft und Geld, das ist wie Öl und Wasser«, sagt er.
»Klingt wie ein Filmzitat.«
»Ist es auch.«
»›Der Pate‹?«, rät Paula.
»Treffer. Wissen Sie auch, welcher Teil?«
»Ich glaube, der dritte. Sagt das nicht Michael Corleone zu dem
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