Kölner Kulissen
seinen Nasenschleim so langsam hochgezogen, als wollte er Hanna möglichst intensiv an diesem Vergnügen teilhaben lassen.
Sie ist gut vorbereitet. Daran hält sie sich fest, wiederholt den Satz im Geist wie ein Mantra: Du bist gut vorbereitet. Gestern hat sie Vincent Wallenstein angerufen, bei dem Paula Farkas übernachtet haben will, als Julia Schwartz ums Leben kam. Wie sich herausgestellt hat, ist Wallenstein Kulturjournalist. Hanna vermutet, dass Schauspielerinnen, die ihre beste Zeit hinter sich haben, sich solche Leute warmhalten müssen, damit noch hin und wieder ein Magazin über sie berichtet. Wallenstein hat jung geklungen und zunächst ziemlich sympathisch. Ja, Frau Farkas habe die Nacht von Montag auf Dienstag mit ihm verbracht. Sie seien bis gegen Mitternacht im Kino gewesen und danach zu ihm gegangen. Selbstverständlich könne er ihr sagen, welchen Film sie sich angesehen haben: »The Grifters«.
»Nie gehört«, hat Hanna gesagt.
»Da ist Teil deines Problems«, hat er geantwortet. »Du hast zu wenig Filme gesehen. Alle Rätsel des Lebens werden da gelöst.«
Für einen Augenblick ist sie sprachlos gewesen. »Wie kommen Sie dazu, mich zu duzen?«, hat sie schließlich herausgebracht.
»Entschuldigen Sie, das war nur ein Filmzitat. Steve Martin sagt das in ›Grand Canyon‹. Ich finde, es steckt viel Wahrheit darin. Werden nicht die gleichen Geschichten immer wieder erzählt – Geschichten, die wir auch aus dem wirklichen Leben kennen? Für Sie als Polizistin müssten Filme eigentlich wertvoll sein. Sie könnten Muster darin entdecken … Verhaltensmuster, Verbrechensmuster …«
Hanna hat weder Zeit noch Lust gehabt, sich noch länger mit diesem Feuilleton-Schreiberling zu unterhalten. Offenbar will Wallenstein die Leute mit seinem Gerede beeindrucken. Aber das soll er lieber bei Schauspielerinnen, deren erfolgreichste Jahre vorbei sind, versuchen.
Nach dem Gespräch mit ihm hat Hanna die zuletzt bei Julia Schwartz eingegangenen Telefonanrufe überprüft. Paula Farkas hat die Wahrheit gesagt: Bereits in der Nacht zu Dienstag und am folgenden Vormittag hat sie versucht, ihre Freundin zu erreichen. Zwar könnte das ein Ablenkungsmanöver sein, aber nachdem Wallenstein ihr Alibi bestätigt hat, lässt sich so nicht mehr argumentieren. Allein auf diesem Fundament kann Hanna kein Verhör aufbauen.
Doch gestern Nachmittag hat Hanna sich entschlossen, die Schauspielerin ein wenig zu beobachten. Und das hat sich ausgezahlt. Jetzt ist sie vorbereitet.
Noch einmal wiederholt sie im Geist dieses Mantra, als Weyrauch das Büro betritt. Er hinkt. Sein Sohn habe ihn beim Fußballspielen böse gefoult.
»Blutgrätsche«, erklärt er.
Hanna informiert ihn darüber, dass sie Paula Farkas zu einem Gespräch herbestellt habe.
»Wann?«, fragt er.
»Jetzt gleich.«
Weyrauch seufzt. »Du weißt doch, ich hasse Befragungen vor dem zweiten Frühstück.« Umständlich lässt er sich auf seinen Stuhl fallen. »Noch dazu, wenn wir keine neuen Erkenntnisse haben.«
Auf diesen Einwand hat Hanna nur gewartet. Gemächlich steht sie auf, schlendert zu Weyrauch hinüber und legt ihm einen Stapel Fotos vor die Nase.
Weyrauch nimmt sich Zeit, um jedes einzelne Foto genau zu studieren. Er fragt Hanna nach Ort und Zeitpunkt der Aufnahmen.
»Okay«, sagt er endlich. »Dann soll sie uns das mal erklären.«
Sie müssen nicht lange warten. Paula Farkas erscheint wie verabredet um Punkt halb zehn. Sie trägt Jeans und eine dunkle Bluse, beides ein wenig abgetragen. In denselben Kleidern hat Hanna sie gestern gesehen. Das Haar hat sie hochgesteckt, allerdings ein wenig nachlässig. Im Nacken haben sich bereits mehrere Strähnen gelöst und hängen schlaff herunter. Als sie die Sonnenbrille absetzt, kommen dunkle Ringe unter ihren Augen zum Vorschein.
»Kaffee?«, fragt Weyrauch.
»Sehe ich so aus, als bräuchte ich Kaffee?«
»Ja«, sagt Hanna.
Paula Farkas bittet für ihr übernächtigtes Aussehen um Entschuldigung. Sie sei letzte Nacht nicht zu Hause gewesen. »Ich hatte Angst«, sagt sie. »Nach dem, was Julia passiert ist.«
»Dann waren Sie wohl wieder bei Herrn Wallenstein?«, fragt Hanna.
»Nein, bei einem anderen Freund.«
»Ach?«, sagt Hanna.
Weyrauch zieht eine Augenbraue hoch.
»Tut das was zur Sache?«, fragt Paula Farkas.
»Nicht im Geringsten«, sagt Weyrauch. Er reicht ihr einen Kaffeebecher mit dem Wappen des 1. FC Köln darauf.
Hanna informiert sie darüber, dass Wallenstein ihr Alibi
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