Kölner Luden: Sandmanns dritter Fall
neugieriges – Raubtier kurz taxierte. Die anderen Damen, zwei ebenfalls gelangweilte Frauen Mitte 20 in zu kurz geratenen Kleidern und zwei sicherlich zehn Jahre ältere Frauen, deren Aufmachung noch offenherziger war, teilten mit dem Türsteher den Akzent. Es war das reinste Klischee.
Wenig überraschend konnte niemand Marius bei seiner Suche weiterhelfen. Weder kannten sie den Mann auf dem Foto, noch wussten sie irgendetwas aus den früheren Zeiten oder kannten jemanden, der darüber erzählen konnte. Es schien, als hätten die Osteuropäer die Alteingesessen so erfolgreich verdrängt, dass gleichzeitig die Erinnerung an sie ausgelöscht war. Die Fragen hatten Marius allerdings 40 Euro für zwei Gläser Sekt gekostet, die die ältere der Mittdreißigerinnen, die sich Marius als Chantal vorstellte, flugs auf seinen Namen geordert hatte, als er mit seinem ›Hallo‹ noch nicht fertig war. Als die Frau ansetzte, die ganze Flasche zu ordern, verlangte Marius die Rechnung. Die Frau verschwand und schimpfte leise in ihrer Muttersprache, der Barkeeper kassierte missmutig. Alle Beteiligten waren unzufrieden, als Marius das Etablissement wieder verließ.
Wenige Minuten später betrat er eine Bar ganz anderer Art. Helles Licht, ebenso helle, fast weiße Wände, eine moderne Holztheke. Die Bilder an den Wänden erinnerten eher an eine Galerie. Allein die Musik, die hier aus kleinen Designer-Boxen erklang, war der gleiche Lounge-Elektro-Mix. Im hinteren Bereich des Raumes entdeckte der Detektiv seine Freundin in einer Gruppe, deren Mitglieder sich scheinbar einer bestimmten Hierarchie folgend aufgebaut hatten. In der Mitte neben einem Fässchen Kölsch stand – wie ein König umringt von seinen Kämpen – das Geburtstagskind. Um den Chefredakteur in englischem Tweedsakko sammelten sich einige meist jüngere Männer, in der Mehrzahl ebenfalls Jackettträger. Am Rande dieses inneren Kreises standen kleinere Grüppchen in den für junge Medienmenschen wohl verpflichtenden Hipster-Klamotten. Marius studierte die Szenerie. In der Anordnung der Menschen erinnerte es ihn an die Darstellung höfischer Zusammenkünfte vergangener Epochen. Verena stand inmitten des inneren Kreises neben ihrem Chef und plauderte angeregt mit ihm und einem der Anzugträger. Marius zögerte, bevor er die Bar durchquerte. Er hätte es vorgezogen, irgendwo in der Nähe der Tür stehen zu bleiben, die Leute zu beobachten und nachzudenken. Verena hatte ihn bereits entdeckt und winkte ihn zu sich. Mit vorausgestrecktem Unterarm durchquerte Marius den gut gefüllten Laden und den Kreis um Verena und ihren Chef. Nach einer kurzen, kleinen Vorstellungsrunde und der Verwunderung darüber, dass Marius kein Kölsch trinken wollte, widmeten sich alle Gäste wieder ihren Gesprächen und ihrer Hackordnung.
Marius goss sich ein Mineralwasser in eine Kölschstange und beobachtete das Geschehen, das Buhlen der Jüngeren um die Aufmerksamkeit der Älteren – und mittendrin Verena. Die Hand ihres Chefs auf ihrer Schulter hatte sie mittlerweile zum zweiten Mittelpunkt des Abends und dem Hassobjekt der unteren Chargen werden lassen. Sie war in ihrem Element. Marius fremdelte gewaltig. Ein Gespräch mit ihm brachte keinem der Anwesenden einen Vorteil, also blieb er außen vor. Gelangweilt schaute er sich um und entdeckte eine ältere Frau, die nicht in das jugendlich-schicke Ambiente passte. Sie trug einen weißen Kittel und saß vor den Toiletten auf einem Hocker.
Marius entschuldigte sich und drängte aus dem Kreis hinaus. Verena bemerkte es nicht einmal. Er lächelte die Frau auf dem Hocker freundlich an und wünschte einen ›Guten Abend‹. Überrascht blickte sie hoch und erwiderte den Gruß. Als Marius aus der Toilette zurückkam, ließ er sich Zeit und suchte umständlich nach einer Münze, die er der Frau in den Aschenbecher werfen konnte, den sie als Trinkgeldkasse nutzte.
»Arbeiten Sie schon länger hier?«, eröffnete Marius wenig originell das Gespräch.
»Seh’ ich so aus?«, konterte die Frau.
»Eigentlich nicht«, räumte der Detektiv ein und grinste verschmitzt. »Sie sind entschieden zu gut angezogen für den Laden.«
»Ha!« Die Frau lachte laut auf. »Einen Charmeur hab’ ich mir da angelacht. Kannst öfter kommen! Bauste mich auf!«
»Klar«, Marius klopfte der Frau kurz sanft auf die Schulter. »Im Ernst: Früher waren hier andere Leute unterwegs, oder?«
»Das kannst du laut sagen. Eine schlimme Gegend war das. Besonders für eine Frau!
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