Kölner Luden: Sandmanns dritter Fall
gibt’s die Straße überhaupt noch?«
»Nicht wirklich«, antwortete Marius.
»Besser so«, antwortete der alte Mann.
»Es gibt Leute, die das bedauern. Unter Krahnenbäumen ist heute eine ziemlich triste und tote Straße.«
»Haben Sie einmal daran gedacht, dass es Leute geben könnte, die genau das gewollt haben? Wir Polizisten haben uns Jahre vergeblich bemüht, in solchen Straßen dem Gesetz Geltung zu verschaffen. Schließlich mussten wir einsehen, dass andere das besser konnten. Stadtplanung sei dank!«
»Erzählen Sie mir über den anderen Mann auf dem Foto, den Mann mit dem Piratentuch.«
Die Sonne verschwand hinter den hohen Bäumen im Westen der Kleingartenanlage. Von der Militärringstraße her drang das Rauschen des Berufsverkehrs zu ihnen herüber. Marius fröstelte. Allerdings lag das weniger an der Kälte, mehr an der Geschichte, die der alte Polizist ihm erzählt hatte.
»Erinnern Sie sich noch an den Namen des Jungen?«
»Als ob ich den jemals vergessen könnte!« Heimering griff zum Atemgerät und schnaufte einige Male in die Plastikmaske. »Sein Name war Siegfried Baumgart.«
Marius wiederholte den Namen für sich. »Was wurde aus Baumgart nach ihrer … « Marius zögerte kurz, suchte nach einem Wort, das seinen Gesprächspartner nicht verstummen lassen würde. »Nennen wir es: nach ihrer ›erzieherischen Maßnahme‹?«
»Ich habe keine Ahnung. Damals war ich noch nicht bei der Polizei. Erst zehn Jahre später habe ich meinen Dienst in Köln angefangen. Vorher war ich in Düsseldorf. Ich brauchte eine Luftveränderung.«
»Lebt Ihr Vater noch?«
»Er wurde wenige Wochen später zusammengeschlagen und musste den Dienst quittieren. Anschließend hat er sich ziemlich schnell zu Tode gesoffen.«
»Hat Baumgart sich gerächt?«
»Mein Vater hat das bestritten. Er hat gesagt, eine Bande habe ihm aufgelauert. Mich hat er damit nie überzeugt.«
»Wissen Sie, wo ich diesen Siegfried heute finden kann?«
»Ich habe nicht die leiseste Ahnung und ich will es auch nicht wissen. Entweder hängt er in irgendeiner verkommenen Spelunke oder er sieht sich die Radieschen schon längst von unten an. Wo hängen denn sonst die ganzen legendären Zuhälter von damals herum? In irgendwelchen kleinen ranzigen Sozialwohnungen versaufen sie das bisschen, was ihnen der Staat unnötigerweise gibt.« Seine Tirade endete in einem heftigen Husten und einem hektischen Griff zur Maske.
»So, wie Ihr Vater gesoffen hat?«
»Fahren Sie zur Hölle!« Als Marius das Gartentörchen hinter sich schloss, hörte er noch das keuchende Atmen unter der Plastikmaske.
16
Paula Wagner studierte Margarethe Klösgen, wie sie vertraut mit einer Kundin plauderte, während sie scheinbar interessiert ein paar Kleider auf einer langen Garderobenstange durch die Finger gleiten ließ. Erst als die ältere Dame das Geschäft verließ, wandte sich Paula der Eigentümerin zu. Sie zückte ihren Ausweis und hielt ihn der Ladenbesitzerin unter die Nase.
»Hauptkommissarin Paula Wagner, Kripo Köln. Es geht um den Mord an Gregor Heck 1978. Sie erinnern sich vielleicht? Ist schon ein Weilchen her.«
»Heck?« Die Rothaarige musterte Paula abschätzend, als die Türglocke bimmelte. »Das ist lange her, das kann ein paar Minuten warten.« Sie ließ sie stehen.
»Mord verjährt nicht«, brüllte Paula durch den Laden. Klösgen funkelte sie wütend an, flüsterte kurz mit ihrer neuen Kundin, die mit einem Seitenblick auf Paula verschwand. Nachdem die Tür hinter ihr zugefallen war, schloss Margarethe ab und drehte das ›Offen/Geschlossen‹-Schild herum.
»Gehen wir nach hinten«, sagte sie in einem Ton, der sich kaum mühte, nicht nach Kommando zu klingen. Paula folgte ihr in eine kleine Küche, an deren hinterer Wand sich Schuhkartons stapelten. Einziger Schmuck war die Kopie eines alten Gemäldes. Margarethe setzte sich auf einen Stuhl und zündete eine Zigarette an. Der Aschenbecher vor ihr ließ keinen Zweifel, dass sie das öfter tat. Die Kommissarin lehnte sich an die Küchenzeile und stützte die Hände auf ihr ab.
»Gregor Heck! Das ist über 30 Jahre her!«, reagierte Klösgen empört. »Und immer noch kommt irgendwann eine Scheißpolizistin daher und gräbt den alten Dreck wieder aus. Ich habe damit abgeschlossen. Ich habe mir hier was aufgebaut. Glauben Sie, das lasse ich mir von jemanden wie Ihnen kaputt machen?«
»Ich bin nicht hier, um Ihnen Ärger zu machen. Ich möchte ein paar Informationen zu Gregor Hecks
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