Kölner Totenkarneval: Sandmanns zweiter Fall (German Edition)
Schlüssel noch
leiser als sonst. Genau genommen flüsterte er dermaßen, dass Paula Wagner kaum etwas
von dem verstand, was er sagte. Nur die Worte ›Tobsuchtsanfall‹ und ›Brandt‹ konnte
sie nach einigem Nachfragen verstehen.
»Du kannst ruhig lauter reden, Marlon«,
sagte sie schließlich leicht genervt, »er war gerade bei uns und er braucht mindestens
20 Minuten, bis er wieder bei euch ist.«
»80, wenn er noch seine Beschwerde
beim Direktionsleiter ablässt«, warf der Hauptkommissar ins Gespräch ein.
Marlon hatte den letzten Satz nicht
gehört, doch Paulas Erklärung hatte zu einer gewissen Entspannung geführt, und wenn
Paula Wagner dem jungen Forensiker ganz aufmerksam zuhörte, konnte sie ihn nun sogar
verstehen. Offenbar war Schlüssel Volker Brandt in die Arme gelaufen, als er gerade
mit seiner Beute vom Rhein ins Institut zurückkehrte. Unglücklicherweise, nachdem
Brandt eine Viertelstunde nach ihm gesucht hatte, weil er ihn für eine andere Untersuchung
brauchte. Und wie Brandt nun einmal war, hatte er sich im Büro seines Mitarbeiters
umgesehen und auf dem Rechner das geöffnete Programm entdeckt, das Schlüssel für
Paula Wagner geschrieben hatte. Das alles hatte, so Marlon, schon für eine Menge
Ärger gesorgt. Richtig ausgeflippt war Brandt allerdings erst, als er gehört hatte,
für wen Schlüssel die ganze Arbeit machte. Nach einem kurzen emotionalen Ausbruch
auf dem Flur des Instituts war er davongerauscht. Die Kollegen hatten ob der Schreierei
einen Blick nach draußen geworfen, schnell die Türen ihrer Labors und Büros geschlossen,
als sie gesehen hatten, wer da brüllte. So war der verstörte und aufrichtig schockierte
Marlon schließlich allein in sein Büro geschlichen und hatte dort die letzte halbe
Stunde darüber gegrübelt, ob es nicht besser sei, zu kündigen.
Paula Wagner hatte sich alles geduldig
angehört, konnte es sich aber nicht verkneifen, die für sie wichtigste Frage zu
stellen: »Hast du schon Tests machen können?«
Die Antwort traf sie wie ein Schlag.
»Nein, natürlich nicht. Brandt hat
die Jacke und die Probe einkassiert.«
Paula hatte gerade aufgelegt, als
die Tür ohne Anklopfen geöffnet wurde und Hannes Bergkamp aus dem Stuhl sprang und
»Herr Direktor« krächzte.
Dem Leiter der Direktion Kriminalität,
so sein offizieller Titel, unterstanden die acht Kriminalinspektionen mit ihren
insgesamt 41 Kommissariaten. Es bedurfte schon eines besonderen Anlasses, dass er
sich unangemeldet in einem der Kommissariate sehen ließ. Sebastian Jansen, ein trotz
seiner wenigen Haare und des hellgrauen Anzugs jungenhaft wirkender Mittfünfziger,
galt unter den Kollegen als ein Mann des Apparats, kein Mann der Ermittler. Das
hatte den Nachteil, dass er sich nur wenig für die Arbeit der Beamten und ihre Probleme
interessierte, bot allerdings den Vorzug, dass er sich nicht allzu sehr einmischte.
Zumindest nicht, solange die Arbeit lief und Ergebnisse präsentiert wurden. Aus
persönlichen Angelegenheiten hielt er sich völlig raus. ›In solchen Fragen bin ich
die Schweiz dieses Hauses‹, pflegte er zu sagen. Nun stand er kurz nach Brandts
Abgang in ihrem Büro und Hannes Bergkamp hatte geirrt: Brandt war mit seiner Beschwerde
deutlich schneller zu Jansen vorgedrungen als gedacht. Der Direktor erwiderte Bergkamps
Begrüßung mit einem kurzen Nicken und wandte sich dann an Paula.
»Auf ein Wort, Frau Kommissarin«,
begann er, »ich hatte soeben einen sehr aufgebrachten Leiter der Rechtsmedizin in
meinem Büro. Ich nehme an, Sie wissen, worum es geht?«
»Es gab einige Spuren in einem Fall
zu verfolgen, die eine etwas unorthodoxere Arbeitsweise erforderlich machten. Ich
vermute, Doktor Brandt hat dies bemängelt?«
»Das hat er in der Tat. Ich denke,
wir alle kennen unsere Dienstanweisungen, oder?«
»Selbstverständlich, Herr Direktor.«
»Dann sollten wir sie auch befolgen,
meinen Sie nicht? Diese Anweisungen sind ja nicht einfach aus der Luft gegriffen.
Sie erfüllen ihren Sinn und Zweck und erlauben uns ein optimiertes Arbeiten in unseren
Ermittlungen.«
»Natürlich, Herr Direktor.« Paula
Wagner hätte es bei dieser Bestätigung belassen können. »Allerdings gibt es manchmal
Momente in unserer Arbeit, wo es klüger sein kann, eine etwas andere …«, sie dachte
einen Augenblick über das passende Wort nach, »innovativere Methode zu verwenden,
die Erfolg versprechender erscheint.«
Der Direktor blinzelte und wägte
seine Antwort ab. »Nun, Frau Kommissarin,
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