Kölner Totenkarneval: Sandmanns zweiter Fall (German Edition)
von Verena Talbot getrennt hatte.
Eine Internetrecherche brachte ein schnelles Ergebnis. Marie Lundmann
studierte an der Universität zu Köln Rechtswissenschaften und arbeitete im Büro
der Gleichstellungsbeauftragten als Hilfskraft. Er packte seine Sachen zusammen
und ging hinüber zur Rolltreppe. Doch die funktionierte nicht und Marius erinnerte
sich daran, dass sie das zu seiner Zeit schon nicht getan hatte. Also stapfte er
die hohen Metallstufen hinunter in den zweiten Stock und suchte sich von dort aus
ein normales Treppenhaus. Dann verließ er das Philosophikum durch einen Hinterausgang,
überquerte die Gyrhofstraße und betrat das Gebäude Eckertstraße 4 gegenüber dem
Kunsthistorischen Institut, wo er mehrere Semester verbracht hatte. Von außen wirkte
das Haus wie ein ganz normales Wohnhaus aus den 50er-Jahren des vorigen Jahrhunderts.
Nur die Klingelschilder offenbarten, dass hier in ehemaligen Wohnungen Büros untergebracht
waren. Marius drückte die Tür auf und ging die Treppe hinunter in den Keller, wo
sich das Büro der Gleichstellungsbeauftragten befand. Misstrauisch beäugte ihn eine
Frau mittleren Alters.
»Was kann ich für Sie tun, junger
Mann?«
»Ich möchte zu Marie Lundmann.«
Eine Frau Anfang 20 mit kurzen schwarzen Haaren schaute aus dem Nebenraum hervor.
»Kennen wir uns?«, fragte sie, als
sie auf den Flur hinaustrat. Sie trug ein einfaches schwarzes Kleid über hellen
Jeans und braune halbhohe Stiefel. Marius stellte sich kurz vor, was bei den Frauen
für noch viel mehr Verwirrung sorgte.
»Ein Privatdetektiv? Ich wüsste
nicht, womit ich Ihnen helfen könnte«, sagte Lundmann reserviert.
»Vielleicht könnten wir uns irgendwo
in Ruhe unterhalten?«, fragte Marius mit einem Seitenblick auf die Kollegin, die
zwar tat, als wäre sie mit dem Sortieren von Papierstapeln voll und ganz beschäftigt,
doch auf jedes Wort lauschte. Marie Lundmann nickte und verschwand wieder in dem
hinteren Raum, durch dessen Tür Marius Aktenregale und einen unaufgeräumten, mit
Papieren übersäten Schreibtisch erspähen konnte. Wenige Augenblicke später kam die
Studentin mit einer sandfarbenen Wildlederjacke über dem Kleid und einem Päckchen
Zigaretten in der Hand zurück.
»Gehen wir nach draußen«, sagte
sie und Marius folgte ihr durch einen düsteren, mit Kartons und Bürogeräten vollgestellten
Keller hinaus in einen novembergrauen, vernachlässigten Garten. Marie Lundmann blieb
an der Kellertür stehen, wo die Loggia des ersten Stockwerks Schutz vor dem Nieselregen
bot. Sie nestelte eine Zigarette aus der Packung und hielt sie Marius hin. Der schüttelte
den Kopf. Das Mädchen nahm die Zigarette und zündete sie sich mit einem Plastikfeuerzeug
an, das sie aus der Jackentasche kramte.
»Ich sollte auch aufhören«, sagte
sie und inhalierte tief. Dann blies sie den Rauch in Richtung des Gartens. »Wie
kann ich einem Privatdetektiv helfen?« Sie blickte Marius aus großen, nicht unbedingt
freundlichen grauen Augen an.
»Sie sind mit Anja Binhold befreundet
gewesen. Ich untersuche im Auftrag von Angehörigen eines der Opfer das Attentat
vom 11. November. Dabei bin ich auf Anjas Namen gestoßen.«
»Wir waren befreundet, ja«, sagte
Lundmann, ohne auf Marius’ Erläuterungen in irgendeiner Weise einzugehen.
»Ich will versuchen, so offen wie
möglich zu sein. Es gibt Anhaltspunkte, wonach die Polizei bestimmten Hinweisen
nicht so konsequent nachgegangen ist, wie sie das hätte tun sollen.«
»Weswegen jemand sie engagiert hat,
um das nachzuholen.« Marius nickte. »Sie arbeiten für die Familie des Attentäters«,
stellte Lundmann sachlich fest.
»Wie kommen Sie darauf?«
»Kaum jemand hat ein größeres Interesse
daran, dass der Fall weiter untersucht wird. Alle anderen sind mit der Antwort ›terroristischer
Anschlag‹ zufrieden.«
»Sie nicht?«
Die Studentin zog an ihrer Zigarette,
bevor sie antwortete. »Ich vertraue keinen einfachen Antworten.«
»Ich auch nicht.«
»Haben Sie eine bessere Antwort?«
»Bisher noch nicht. Deswegen bin
ich hier. Gibt es irgendetwas im Leben von Anja Binhold, das einen Hinweis auf eine
andere Möglichkeit geben könnte?«
»Ich weiß nicht.« Lundmann drückte
die Zigarette an der Sohle ihrer Stiefel aus, kramte einen Fetzen Alufolie aus der
Jackentasche und wickelte den Stummel darin ein, bevor sie ihn in die Tasche steckte.
»Wir dürfen hier keine Kippen liegen
lassen«, erklärte sie. »Streng genommen darf ich hier noch nicht einmal
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