König 01 - Königsmörder
Schreibtisch. Sie würde noch einen weiteren Tag warten und ihn dann aufsuchen. Gebrochene Zäune flicken. Ihn dazu bewegen, noch länger in der Stadt zu bleiben, während sie Asher vorsichtig die Idee schmackhaft machte, ihn in Dorana zu behalten. Er konnte nicht wirklich glauben, dass Matt in sie verliebt war. Die Vorstellung war lächerlich. Das würde er selbst einsehen, sobald sich sein Ärger zur Gänze abgekühlt hatte. Er musste es einsehen.
Und die Prophezeiung würde ungehindert ihren Lauf nehmen, zu ihrer Zeit, wie immer.
Während die Dienstboten sich plappernd zerstreuten, sagte Darran: »Die Kutsche erwartet Euch an der Vordertreppe. Willer und ich werden Euch in die Halle der Gerechtigkeit begleiten.«
Asher starrte ihn an. »Ich brauche Euch dort nicht.«
»Trotzdem.« Darran lächelte. »Wir nehmen an der Versammlung teil.« »Schön«, erwiderte Asher. »Aber bildet Euch nicht ein, dass ich anschließend still dasitze und Eure Kritik über mich ergehen lasse.« Dann sah er Dathne an und streckte die Hand aus. »Kommst du?« Damit hatte sie nicht gerechnet. »Ich?«
»Um die Dinge zu besprechen, die sich in letzter Minute ergeben haben.« Seine Stimme und sein Gesicht verrieten nichts als geziemende Höflichkeit, aber seine Augen versprachen etwas anderes. Ihr Blut wurde zu Honig, warm und sinnlich. Ohne auf Willers eifersüchtig funkelnden Blick und Darrans onkelhaft geziertes Gehabe zu achten, heuchelte sie Langeweile und schob Ashers ausgestreckte Hand fort. »Also gut. Wenn du darauf bestehst.« Dann marschierte sie ohne ihn auf die Eingangstüren zu.
Er folgte ihr lachend.
Während die Kutsche die Einfahrt hinunterrollte, zog Asher die Vorhänge fest zu und raubte ihr mit einem Kuss den Atem. Sie ließ ihn noch einen weiteren Kuss stehlen, dann löste sie sich von ihm und riss die Vorhänge auf. Die Kutsche hatte soeben die Haupttore des Palastes hinter sich gelassen und fuhr die lange Straße zum Zentrum der Stadt hinab.
»Heh!«, protestierte er.
»Für Tändeleien wird später noch Zeit genug sein«, sagte sie streng. »Jetzt schau aus dieser Kutsche und sag mir dann noch einmal, dass die Vorhänge geschlossen bleiben sollen!«
»Hol's der Kuckuck«, sagte Asher voller Ehrfurcht und betrachtete die Gehsteige, an denen sie vorbeikamen. »Was glauben sie,
tun
sie da?«
Es sah so aus, als gäbe es keinen Olk in der Stadt, sei es Mann, Frau oder Kind, der sich nicht auf den Gehsteigen eingefunden hätte, um ihn vorbeifahren zu sehen. Die Menschen riefen und winkten. Alle jungen Mädchen schwenkten Blumen. Dathne beugte sich an ihm vorbei, um die Fensterscheibe herunterzukurbeln, und der Jubel der Menge ergoss sich wie ein Wasserfall in die Kutsche.
»Asher! Asher! Asher!«
»Sitz nicht einfach nur da«, schalt sie ihn lachend. »Wink ihnen zu. Sie sind dein Volk, sie sind stolz auf dich. Zum ersten Mal seit dem Kommen der Doranen sehen wir einen der unseren auf dem Gipfel der Macht.«
»Habe ich gesagt, dass ich auf einem verdammten Gipfel sein will?«, erwiderte Asher finster. »Barl stehe mir bei!«
Sie beobachtete, wie er sich zum Fenster vorbeugte. Hörte die brüllende Menge bei seinem Anblick noch lauter brüllen. Und wusste, dass dies recht war, spürte es bis in die Knochen, eine mächtige Regung etwa wie die, die sie an diesem Morgen – der ein ganzes Leben zurückzuliegen schien – verspürt hatte, als sie mit dem Wissen erwacht war, dass er endlich in ihrer Reichweite war. Die Bande von Blut und Magie, die sie zu Jervales Erbin machten, frohlockten.
Die Olken, die nur wenige Schritte von ihrer Kutsche entfernt auf der Straße standen, schrien und lachten und riefen seinen Namen; sie himmelten Asher an, weil er ihr Tribun war. Wie viel mehr würden sie jubeln, wenn er sich als ihr Unschuldiger Magier offenbarte?
Plötzlich kümmerte es sie nicht mehr, dass sie nicht vorhersehen konnte, wie das geschehen würde. Es kümmerte sie nicht mehr, dass die Träume und Visionen in letzter Zeit ausgeblieben waren. Ihr verzweifeltes Verlangen nach Wissen war erstorben. Es genügte, dass sie hier war, an seiner Seite; in einer königlichen Kutsche, die auf dem Weg zur Halle der Gerechtigkeit war, wo er auf dem Stuhl des Rechtgebers Platz nehmen und feierlich Recht sprechen würde. Es genügte zu wissen, dass sie das Ihre getan hatte, um ihn zu diesem Ort zu führen, zu dieser Zeit, da die Welt am Rande großer Veränderungen zitterte. Es genügte, dass er ihr Mann war und sie
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