König 02 - Königsmacher
Keine dunkelroten Blitze. Keine zischenden Donnerschläge. Nicht weit von ihnen entfernt trieb das Fischerboot wie eine Ente sachte auf dem ruhigen Meer. Jemand rief mit zittriger Stimme: »Asher! Seid Ihr das? Habt Ihr den Prinzen?«
Der Arm, der seine Brust umklammert hielt, entspannte sich. Asher, der ebenfalls ein wenig zittrig klang, rief zurück: »Jawohl! Wir sind hier! Kommt uns holen, ja?«
»Haltet durch, Junge, wir kommen!«
So schlaff wie ein Huhn, dem man den Hals umgedreht hatte, starrte Gar in den makellosen Himmel hinauf. Ein scharfer Schmerz durchzuckte ihn, als seine Augen sich mit Tränen füllten.
»Vater!«,
weinte er im Kopf, im Herzen.
»Vater…«
Kurz darauf verblasste der Himmel und mit ihm alles Bewusstsein. Es tat ihm nicht leid.
In Dorana herrschte Aufruhr. Auf den Straßen und Gassen, die nicht unter herabgefallenen Dachpfannen, Glassplittern, zerbrochenen Blumentöpfen und anderem Schutt erstickt waren, drängten sich Olken und Doranen gleichermaßen zusammen, während sie bestürzt und mit zerrissener Kleidung umherstolperten. Hauptmann Orrick und seine Stadtwache, die ebenso schockiert waren wie alle anderen, mühten sich, einen Hauch von Ordnung aufrechtzuerhalten. Überall herrschten Überschwemmungen, Feuer brannten, und Menschen rannten in Panik umher.
Dathne, deren Körper zerschunden war, weil mehrere Bücherregale sie unter sich begraben hatten, entfloh ihrem verwüsteten Laden und gesellte sich zu ihren benommenen Nachbarn auf die Straße. Sobald sie sich davon überzeugt hatte, dass ihre Freunde zum größten Teil unversehrt waren, machte sie sich auf den Weg zum Turm, um nach Matt zu suchen und festzustellen, ob sie etwas Licht auf dieses unerwartete Unheil werfen konnten.
Die Prophezeiung hatte sie nicht vor etwas
Derartigem
gewarnt. Wenn sie nicht so erschüttert gewesen wäre, wäre sie wütend gewesen.
Am Tor zum Palastgelände standen keine Wachposten. Nachdem sie ungehindert hindurchgeeilt war, sah sie Erde, die von unten aus Gartenbeeten und Rasen hervorgebrochen war. Einige Bäume waren umgestürzt, und ihre Wurzeln ragten gen Himmel.
Hinter dem zahnlückigen Kreis der Eichen stand der Turm des Prinzen nach wie vor Wache. Erst als sie ihn dort sah, unberührt, wurde ihr das Ausmaß ihres Entsetzens bewusst; sie hatte furchtbare Ängste ausgestanden, dass der Turm eingestürzt und alles um sich herum unter gigantischen Blöcken blauen Steins zermahlen haben könnte.
Im Stallhof des Turms wimmelte es von Männern, von denen einige zerschrammt und blutverschmiert waren, andere unversehrt. Sie alle waren darauf bedacht, die nervösen, verschreckten Pferde zu beruhigen, die wiehernd gegen ihre Stalltüren traten.
»Wo ist Matt? Wo ist Matt?«, fragte sie die Stallburschen, und sie zeigten mit zitternden Fingern auf den Pfad, der zu den Weiden hinter dem Stallhof führte. Sie raffte ihre Röcke und lief los.
Er lag der Länge nach auf einem der Felder in unmittelbarer Nähe der Ställe, das Gesicht mit Blut verschmiert von einer Schnittwunde am Haaransatz. In den Armen hielt er den schlaffen Leib eines jungen Mannes. Er hatte auch Blut auf den Händen, wie sie nunmehr feststellte. Und auf der Vorderseite seines Hemds. Bevor sie fragen konnte, ob es ihm gut gehe…
»Es ist Bellybone«, sagte er benommen und blickte mit großen, schmerzerfüllten Augen zu ihr auf. »Er hat versucht, die Fohlen hereinzubringen. Eins von ihnen hat ihn getreten - sieh nur…«
Er strich dem Mann das mit Blut getränkte Haar aus dem Gesicht. Bellybone? Ah ja. Sie erinnerte sich an ihn. Mit seinen achtzehn Jahren war er einer von Matts erfahrensten Stallburschen gewesen. Ein charmanter Schurke, der ihr stets damit in den Ohren gelegen hatte, unten in der Gans eine Runde Cock Robin mit ihm zu spielen. Sie hatte fast immer abgelehnt; ihr Geld war zu schwer verdient, um es im Kartenspiel an einen jungen Mann zu verlieren, der das Siegen zu einer Kunst erhoben hatte. Sie beugte sich ein wenig weiter vor und runzelte die Stirn. »Er ist tot, Matt. Sein Schädel ist zerschmettert.«
Er nickte. »Ich weiß.«
»Es tut mir leid.«
Er wandte den Kopf um. Als sie seinem Blick folgte, sah sie eine Gruppe schlaksiger junger Pferde, die sich in einer Ecke des Feldes zusammenkauerten. Andere Pferde lagen unheilverkündend reglos auf dem aufgewühlten grünen Gras. Man konnte das leise Summen vieler Fliegen hören.
»Das ist Donnerkrähe«, sagte er. »Er hat sich beide Vorderbeine gebrochen.
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