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Koenig Arsch - Mein Leben als Kunde

Koenig Arsch - Mein Leben als Kunde

Titel: Koenig Arsch - Mein Leben als Kunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
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Bahncard 50 ergeben?
    Der Humor verging mir, als ich den Kampf mit einer Hotline aufnahm und erst nach mehr als fünf Minuten bei einer menschlichen Phrasendreschmaschine landete: »Ich verstehe Ihren Ärger«, »An Ihrer Stelle ginge es mir genauso«, »Ihre Zufriedenheit ist uns wichtig«. Sie notierte mein Anliegen und versprach, es an die »zuständige Stelle« weiterzugeben (warum hatte ich die »zuständige Stelle« eigent lich nicht gleich an der Strippe?).
    Nach zwei Wochen kam neue Post von der Bahn. Die Stornierung, dachte ich. Doch es war eine Mahnung. Ich griff erneut zum Telefon und kämpfte mich zu einem (vermutlich) menschlichen Wesen vor. Die Dame rief Daten auf:
    »Das hat schon seine Richtigkeit, Sie haben ein Bahncard-Abo.«
    »Ich weiß. Aber dieses Abo habe ich am Schalter bezahlt.«
    »Das können Sie nicht am Schalter bezahlen. Dort haben sie eine gesonderte Bahncard erworben.«
    »Warum sollte ein vernünftiger Mensch gleich zweimal eine Bahncard 25 kaufen?«
    »Das kann ich Ihnen nicht sagen.«
    Ich schluckte, legte auf und schrieb einen gepfefferten Brief, in dem ich ankündigte, vor Wut mit bloßen Händen bald ein paar Gleise zu verbiegen, wenn die Rechnung nicht storniert würde. Mein Brief wurde von einem guten Menschenkenner gelesen: Er nahm meine Drohung ernst. Fünf Tage später wurde die Rechnung zurückgenommen. Niemand entschuldige sich bei mir. Im Gegenteil: Jahre später bekam ich zufällig heraus, dass die Bahn mich auf eine schwarze Liste gesetzt und Zweifel an meiner Zahlungsfähigkeit dokumentiert hatte (siehe Seite 166 f.).
    Was sagt dieses Erlebnis über die Bahn aus? Dass die eine Hand nicht weiß, was die andere tut. Dass ein Kunde, der ein individuelles Anliegen hat, von den Dampfwalzen der Standardprozeduren überfahren wird.
    Außerdem scheint es um die Logistik des Logistikkonzerns schlecht bestellt zu sein: Hätte das System der Bahn nicht bemerken müssen, dass an denselben Kunden auf dieselbe Adresse für dieselbe Laufzeit bereits eine Bahncard ausgestellt worden war? Könnte nicht jeder Hobbyprogrammierer eine Software entwerfen, die dann für einen freundlichen Brief an den Kunden sorgt: »Nach unseren Informationen haben Sie bereits eine gültige Bahncard. Wir wollen uns vergewissern, ob Sie wirklich …« Oder hat die Bahn gar kein Interesse daran, solche Doppelbestellungen zu verhindern? Ist es am Ende ein lukratives Geschäft, den Opfern der Bahnbürokratie zweimal das Gleiche zu verkaufen?
    Ob mit oder ohne Bahncard: Kunden haben bei der Bahn schlechte Karten.
    Der Weltkonzern und die Ruinen
    Wenn ich Bahn fahre, staune ich immer wieder über Gebäude am Streckenrand: Sie sehen aus, als lägen die Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs erst 14 Tage zurück. Blinde Scheiben, verschmierte Wände, heruntergefallene Ziegel – seit wann stehen solche Baracken mitten in Deutschland?
    Dann hält mein Zug. Vor einem dieser Gebäude. Willkommen am Bahnhof! So mancher Provinzbahnhof ist eine Horrorvision. Begraben liegt hier die glorreiche Vergangenheit der Bahn, als die Fahrgäste noch Wertschätzung erfuhren. Die Bahnhöfe waren einladend, und sogar im kleinsten Dorf gab es einen Fahrkartenschalter, an dem man beraten wurde.
    Der erste Bahnhof meines Lebens lag in einem Schwarzwald-Dorf. Wenn draußen ein Schneesturm pfiff, wartete ich als Schüler in der ge heizten Bahnhofshalle auf meinen Zug. Dabei zogen mich meine Kinderbücher so sehr in ihren Bann, dass ich die Durchsagen am Bahnsteig schon mal überhörte. Dann wies mich die Schalterbeamtin auf den einfahrenden Zug hin: »Jetzt aber raus mit dir! Der Zug kommt.«
    Das ist rund 30 Jahre her – und erscheint mir wie ein Märchen aus einem anderen Jahrtausend. Vor rund 25 Jahren wurde der Schalter geschlossen, einige Zeit später die Bahnhofshalle zugesperrt. Und wenn ich dann bei 20 Grad minus auf meinen Zug wartete, kauerte ich mich fröstelnd unter ein kleines Vordach. Wenn ich Pech hatte, pfiff mir der Schneesturm ins Gesicht. Und der Lautsprecher, der die Kälte ebenso schlecht vertrug wie ich, überließ dem pfeifenden Wind das Wort.
    Das Bahnhofsgebäude wurde an die Gemeinde verhökert – immerhin ist es nicht verfallen. Zahlreiche Bahngäste klagen über Haltestellen, die nicht einmal überdacht sind. Die Bahn lässt ihre Fahrgäste im Regen stehen wie ausgesperrte Hunde.
    Dass ihre Gebäude verfallen und ihr Service aus dem letzten Loch pfeift, hält die Bahn aber nicht davon ab, als Glücksritter

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