Koenig Arsch - Mein Leben als Kunde
über die internationalen Märkte des Logistikgeschäftes zu reiten. Sie baut Bahnhöfe in China, treibt Trassen durch die Mongolei, und sogar in Amerika transportiert sie Güter. Ihre Züge donnern durch die ganze Welt. Ihre Schiffe durchfahren alle Meere. Ihre Laster rollen über jeden Highway. Und ihre Flugzeuge durchschneiden den Himmel über allen Kontinenten.
Die Bahn ist ein Global Player geworden, eines der größten Logistikunternehmen der Welt. In den verstecktesten Winkeln der Erde hinterlässt sie ihre Visitenkarte. Nur wenn ich als Kunde in Deutschland nach einem geöffneten Schalter suche, stoße ich mir den Kopf an verschlossenen Bahnhofstüren. Über 60 Prozent aller Servicecenter haben dichtgemacht. Und die Servicewüste wird noch staubiger: Im August 2011 kündigte die Bahn an, fast jede dritte Stelle in ihren 400 verbliebenen Reisezentren zu streichen. 22 Der bevorzugte Ansprechpartner für den Kunden: ein eiskalter Automat.
Die Quittung: In den letzten zehn Jahren hat die Bahn rund 20 Prozent ihrer Fahrgäste im Fernverkehr verloren. 23 Etliche meiner Freunde haben sich dauerhaft aufs Autofahren oder Fliegen verlegt, nachdem sie mehrfach von der Bahn versetzt wurden. Andere klagen über immer schlechtere Verbindungen. Seit 1994 hat die Bahn über 5 000 Gleiskilometer stillgelegt. 24
Und wer finanziert diesen Wahnsinn? Wir – als Kunden und als Steuerzahler. Die Bahn ist der letzte große Staatskonzern. Doch mit welchem Recht treibt sich unsere Firma auf den Logistikmärkten dieser Welt herum, solange ihre Hausaufgaben nicht gemacht sind? Solange Service und Gebäude vor der eigenen Haustür zusammenbrechen? Solange jeder heiße Sommer für die Zuggäste im ICE zur Klimakatastrophe wird und jeder schneereiche Winter die Fahrpläne verschüttet?
Und wie kann es sein, dass die Bahn sogar mit dem Leben ihrer Fahrgäste spielt, nur weil sie ihre Züge und Schienennetze nicht auf den neuesten Stand der Technik bringt? Wie konnte es im Januar 2010 zu einem schweren Privatbahn-Zugunglück in Sachsen-Anhalt kommen, nur weil dort eine automatische Bremsvorrichtung im Schienennetz der Deutschen Bahn noch nicht vorhanden war, obwohl sie als Standardsicherung gegen das Überfahren von Haltesignalen gilt? 25
Der Lokführer eines containerbeladenen Güterzuges ignorierte zwei Signale, rauschte in den mit rund 50 Personen besetzten Harz-Elbe-Express und fegte ihn wie einen Spielzeugzug von den Schienen. Die Wagen kamen völlig demoliert in einem verschneiten Feld zum Liegen. Zehn Menschen starben.
Die Bahn spart an allem. Leider auch an der Sicherheit.
Spionage-Krimi: Die Schnüffler der Bahn
»Sammeln Sie Punkte mit Ihrer Bahncard?« Ganz egal, wie zuckersüß mir diese Frage an einem Schalter gestellt wird: Ich winke ab. Ich möchte nicht, dass die Bahn jeden Kilometer registriert, den ich auf Schienen zurücklege. Ich möchte nicht, dass sie weiß, zu welcher Zeit ich wie lange an welchem Ort war. Denn ich habe keine Kontrolle darüber, was mit diesen Daten geschieht.
Nehmen wir an, der Bahn gefällt dieses Buchkapitel nicht (wovon ich ausgehe!). Dann könnte sie mit einem Klick auf meine Punktesammler-Daten feststellen, mit welchen Zügen ich an welchen Tagen unterwegs war. Welche Fahrklasse ich mir leisten kann. Vielleicht sogar, welcher andere Punktesammler – womöglich ein Bahnkritiker aus den eigenen Reihen! – neben mir saß. Sich überhaupt fragen, warum ich so oft zu später Stunde nach Hannover reise, nur um im Morgengrauen wieder nach Hamburg zu fahren. Habe ich dort eine Geliebte? Oder einen Nebenjob im Rotlicht-Milieu?
Wenn es einen Konzern in Deutschland gibt, der als würdiger Erbe der Stasi gelten kann, dann die DB. Die Mitarbeiter können ein Lied davon singen! Im Januar 2009 leitete die Bahn eine Rasterfahndung ein, wie sie das Land seit der Jagd auf die RAF nicht mehr gesehen hatte: 173 000 Mitarbeiter des Konzerns, von Zugbegleitern bis zu Betriebswirten, wurden von ihrem Arbeitgeber heimlich durchleuchtet. 26
Der Konzern glich die privaten Kontodaten der Mitarbeiter mit denen seiner Auftragnehmer ab, angeblich zur Bekämpfung von Korruption. Aber wie sollte ein Schaffner, ein Gleisarbeiter oder ein Streckenposten denn Aufträge vergeben und Gelder einsacken, obwohl er über keinen anderen Etat als sein eigenes Monatsgehalt verfügt?
Doch die Bahn ging noch weiter. Mit Hilfe von Detekteien durchschnüffelte sie Festplatten, manipulierte Computer, steckte ihre Nase
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