Koenig Arsch - Mein Leben als Kunde
Lokführer schob eine zweite Erklärung nach: Der Zugverkehr in beide Richtungen sei nun »wegen eines Oberleitungsschadens zum Erliegen gekommen«. Das klang plausibel. Aber warum hatte er es nicht gleich gesagt?
Der Zug stand fast eine halbe Stunde. Dann ruckte er an und passierte 500 Meter weiter ein paar Männer mit leuchtend orangefarbigen Westen und schwerem Arbeitsgerät. Ich dachte: »Das sind die Bauarbeiter, die den Oberleitungsschaden behoben haben.«
Als ich am nächsten Bahnhof in ein Taxis stieg, sagte der Fahrer gleich: »Ihre Zugstrecke war heute schon im Radio. Alle sind sauer, weil die Bahn ihre Bauarbeiten am Gleis nicht rechtzeitig angekündigt hat. Nicht einmal aus den Internet-Fahrplänen gehen die Verspätungen hervor.«
Erst sollte ein Zug vorbeigelassen, dann ein Oberleitungsschaden behoben werden – und am Ende handelte es sich um Bauarbeiten am Gleis?! Diese Informationspolitik: ein Wirrwarr und Blabla. Warum tut sich ein Beförderungsunternehmen so schwer, die Wahrheit per Lautsprecher zu ihren Kunden zu transportieren? Warum werden absehbare Verspätungen nicht rechtzeitig mitgeteilt und in die Internet-Fahrpläne eingespeist?
Vielleicht weil die Bahn in einer Disziplin wirklich erstklassig ist: im Erfinden von Ausreden. Ein paar Beispiele für Durchsagen, die ich oft gehört, aber selten geglaubt habe:
ausrede: » Ein Böschungsbrand verzögert die Weiterfahrt.«
Anmerkung: Diese Ausflucht ist am wirksamsten, wenn – wie im Sommer 2010 – die Klimaanlagen in den Zügen ausgefallen sind, die Innentemperatur bei 50 Grad liegt, die Ohnmacht der Passagiere näher ist als der nächste Bahnhof und die Fahrt an einem heißen Böschungsbrand entlang endgültig die Temperatur eines Schmelzofens verspricht. Diese Hölle wollen sich die Passagiere ersparen. Zur Not durch Verspätungen.
Ausrede: »Wegen eines Personenschadens sind wir vorübergehend zum Stillstand gekommen.«
Anmerkung: Der Begriff »Personenschaden« ist so allgemein, dass er auch passt, wenn der Lokführer sich beim Bohren in der Nase den Finger verstaucht; wenn der Betreiber des Zugrestaurants ein angeblich von Sterneköchen zusammengestelltes, trotzdem ungenießbares Menü in den falschen Hals bekommen hat; oder wenn der Mann im Stellwerk nach einem Kneipenbesuch am Vorabend alles doppelt sieht, sodass er keine Weichen mehr stellt, sondern nur noch sich selbst ein Bein.
Ausrede: »Der Zug wurde verspätet zur Verfügung gestellt.«
Anmerkung: Diese Formulierung lässt durch das Passiv »wurde« offen, wer die Verspätung zu verantworten hat. Das soll nach höherer Gewalt klingen, nach einer anonymen Instanz, von der die Pünktlichkeit der Bahn untergraben wurde. Dann kann ich demnächst, wenn ich mir den Wecker zu spät stelle und einen Termin verschlafe, mit demselben Recht sagen: »Das Wecksignal wurde mir verspätet zur Verfügung gestellt.« Klingt besser als »Habe verpennt!« – meint aber dasselbe.
Ausrede: »Wir müssen unsere Fahrt unterbrechen. Kinder spielen in Gleisnähe.«
Anmerkung: Diese Begründung zieht dann, wenn viele Eltern im Zug sitzen, deren Heimatbahnhof nur noch einen Steinwurf entfernt ist. Aus Sorge, die eigenen Sprösslinge könnten das Gleisbett mit einem Sandkasten verwechseln, schlucken sie jede Verspätung klaglos – und werten sie als Zeichen dafür, dass die Bahn eben doch Verantwortung übernimmt: wenn schon nicht für die Einhaltung der Fahrpläne und für das Wohlbefinden der Zugpassagiere, dann doch immerhin für die Sicherheit der vermeintlichen Gleis-Spielkinder.
Ausrede: »Die korrekte Beschrankung eines Übergangs ist nicht sichergestellt.«
Anmerkung: Wenn man die Fahrgäste vor die Wahl stellt, ob sie lieber mit einem Lkw zusammenstoßen oder eine Verspätung akzeptieren wollen, müssen die meisten nicht lange überlegen. Mir fällt nur auf, dass solche Schrankenprobleme nie den Sprung in den Verkehrsfunk schaffen – offenbar also nur auf der Schiene bestehen. Nicht aber auf den angrenzenden Straßen. Merkwürdig!
Was diese Ausreden sollen? Ablenken von eigenen Fehlern und hausgemachtem Chaos! Wie die wahren Gründe für Verspätungen aussehen, verraten die vertraulichen Tagesprotokolle der Betriebszentrale in Duisburg. Offenbar passiert so viel Pfusch, dass die Zentrale in ihrem Protokoll mit den Augen zwinkert, um nicht weinen zu müssen. Hier ein paar Begründungen: 20
»Regionalexpress sollte in Essen Hbf wieder eingesetzt werden. Der Fahrdienstleiter gab
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