Koenig Arsch - Mein Leben als Kunde
nach Lust und Laune zu löschen, zu verändern, zu verfälschen?
Wir leben dort, wo uns George Orwell schon 1948 bei Vollendung seines Romans sah: in einem Überwachungsstaat. Aber nicht die Regierung weiß alles über mich, sondern die Online-Anbieter wissen es. Meine geheimsten Pläne und Wünsche sind so durchschaubar wie eine Glasscheibe.
Nicht nur Bücher verschwinden, auch die Intimität kommt abhanden. All das wäre eine Steilvorlage für einen neuen Zukunftsroman à la 1984 . Nur würde die Gedankenpolizei diesmal nicht vom Staat kommandiert – sondern von den Firmen.
Wenn Kekse mich verfolgen
Es war ein blöder Zufall, der mir die Augen öffnete. Für einen Klienten hatte ich im Internet die Aussichten auf dem Schweizer Arbeits markt recherchiert, dabei Suchbegriffe wie »Arbeiten«, »Lebens haltungskosten« »Mietpreise«, »Immobilienpreise«, »Gehälter Euro Franken« verwendet, immer in Kombination mit »Schweiz«. In den nächsten Tagen fiel mir auf: Ganz egal, welche Websites zu anderen Themen ich anklickte, überall erwarteten mich Anzeigen mit der Schweizer Flagge – für Immobilien in der Schweiz, für Geldanlagen in Franken, für Versicherungsbüros in Zürich.
Ein paar Wochen später dasselbe Spiel: Ich schaute mir auf einem Bücherportal Standardwerke über Gartenarbeit an. Bei meinem nächsten Streifzug durchs Internet begrüßten mich Anzeigen für Gartenbücher, für Rasenmäher, für Saatgut. Als könnten die Werber meine Gedanken lesen!
Eine unheimliche Vorstellung: Das Internet ist kein unveränderliches Datengebäude, durch das Millionen von Besuchern wandern. Vielmehr betritt jeder von uns sein eigenes Haus, was die Werbung angeht; sie wird exakt auf ihn zugeschnitten. Mit jeder Homepage, die Sie anklicken, mit jedem Suchbegriff, den Sie eingeben, mit jeder Bewertung, zu der Sie sich hinreißen lassen, zeichnen Sie Strich für Strich ein Selbstporträt, bis Ihr digitales Ich so klar umrissen ist, dass die Werbung es als Ziel erfassen und Anzeigen darauf abfeuern kann.
Ihre Daten werden von Rasterfahndern ausgewertet. So gründlich, dass nicht nur ein Bild Ihrer gegenwärtigen, sondern auch Ihrer künftigen Interessen entsteht. Wer sich Immobilien anschaut, ist ein Kandidat für Kreditwerbung. Wer sich über das Verhalten während einer Schwangerschaft informiert, bekommt Anzeigen für Babynahrung serviert. Und wer Recherchen über »Gütertrennung« anstellt, wird von Angeboten für Traumhochzeiten umschmeichelt.
Jeder Kunde verrät Geheimnisse. Nehmen wir an, ich benutze einen Kreditrechner und recherchiere gleichzeitig nach Immobilien. Dann kann ein findiges Computerhirn mein Eigenvermögen locker berechnen, indem es die Differenz zwischen den Immobilienpreisen und dem Kreditbedarf ermittelt. Und wer so leichtfertig war, bei seiner Immobilienjagd mit dem Suchbegriff »zweites Kinderzimmer« zu operieren, könnte seine Familienplanung auch ans schwarze Brett heften. Hinzu kommen Bücher, die er anklickt, Krankheiten, über die er recherchiert – Tausende von Informationen.
Und nun stellen Sie sich vor, all diese Daten werden miteinander verknüpft! Fortan verfolgt den Nutzer passende Werbung für einen Menschen, der offenbar 75 000 Euro auf der hohen Kante hat, noch 150 000 Euro leihen will, einen Hauskauf in Oberursel plant, in absehbarer Zeit zwei Kinder in die Welt setzen will, sich für den muslimischen Glauben interessiert (Bücherkauf), beim Sex auf Sado maso-Spielchen steht (Videos), unter Fußpilz leidet (Online-Apotheke) und offenbar eine wenig klassische Ehe eingehen will (Stichwort »Gütertrennung«).
Die Werbewirtschaft des Internets ist zu einem Zauberlehrling mutiert, wie in Goethes Gedicht, nur dass sie ihren Eimer pausenlos mit Daten füllt, über die der Nutzer sofort die Kontrolle verliert. Keiner weiß, wann sie fließen. Keiner weiß, wohin sie fließen. Aber klar ist: Der Eimer wird mit jedem Internet-Besuch voller.
Wie ist das möglich? Technische Erklärung: Jedes Mal, wenn Sie eine Website anklicken, bekommen Sie Spionagedaten angehängt, sogenannte Cookies (auf Deutsch: Kekse). Diese kleinen Textdaten werden im Speicher Ihres Rechners als Markierung abgelegt, meist von Firmen, die Sie über möglichst viele Stationen durchs Internet verfolgen. »Was für das Schaf die Ohrmarke ist, ist das Cookie für den Menschen«, schreibt der Spiegel . 68
Unter Millionen von Nutzern erkennen die Firmen eine Ohrmarke wieder. Aus Ihrer Marke, über viele
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