Koenig Arsch - Mein Leben als Kunde
als moderner Trottel missbraucht: Seine Freizeit ist keine Freizeit mehr, sondern eine kostenlose Arbeitsstundenreserve, auf die Firmen nach Belieben zugreifen. Im Anschluss an seinen Hauptjob, schuftet er nach 17 Uhr in seiner Freizeit bis Mitternacht in seinem Nebenberuf: als Kunde.
Aber was bleibt König Arsch übrig? Wer heute ein Gerät in ein Servicecenter einreicht, wird mit der Höchststrafe belegt: mehrwöchigen Wartezeiten. Natürlich wird ihm kein Ersatzgerät angeboten. Dann lieber selbst den Administrator spielen. Willig und billig.
Mittlerweile werden sogar Software-Bananen verkauft, die noch nicht mal an den Bäumen hängen. 2010 hat Sony einen BluRay-Player mit innovativen Funktionen angeboten, die noch gar nicht nutzbar waren. Kleingedruckt erfuhr der Käufer, wer diesen Mangel später beheben sollte: er selbst – durch Software-Nachrüstung. 66
Solche Nachrüstungen können riskant sein: Mit seiner Firmware »3.21« verlockte Sony seine Kunden, die »Playstation 3« aufzurüsten. Aber durch diese Installation löste sich das Betriebssystem Linux in Luft auf. Wer die Spielkonsole bislang auch als Rechner genutzt hatte, schaute dumm aus der Wäsche.
Dem Kunden wurde das, was er schon bezahlt hatte, durch die neue Firmware wieder entrissen. Und diese Enteignung nahm die Firma schlauerweise nicht selbst vor (was ein Rechtsbruch gewesen wäre), sondern delegierte sie an den Kunden (was legal war).
Wie schrieb Bertolt Brecht so schön: »Nur die dümmsten Kälber/wählen ihre Schlächter selber.«
DAS GROSSE PASSWORT-RÄTSEL
Wissen Sie, was ich im (unbezahlten) Nebenberuf bin? Das, was jeder Online-Kunde heute sein muss: Passwort-Erfinder. Diese Aufgabe ist kein Zuckerschlecken, denn die Online-Shops stellen vier Hürden in den Weg:
1. Nimm keine Wörter aus dem Duden.
2. Verwende für jeden Zweck ein anderes Passwort.
3. Wechsle dein Passwort so oft wie möglich.
4. Speichere dein Passwort niemals ab.
Was habe ich mir schon alles ausgedacht, um nicht in die Duden-Falle zu tappen. Ich dachte mir (als ich gerade Kekse aß) »Prinzenstolle« als Passwort aus. Ich kam (als ich gerade Fußball guckte) auf »Anschlusspfeffer«. Und Angela Merkel, die gerade im Bundestag sprach, spielte mir das Passwort »Regierungsverklärung« zu.
Ich habe die Namen meiner Lieblingsschriftsteller verballhornt: Bertschlecht, Heinrichböller, Hermannkresse. Ich habe, auf besonderen Sicherheitswunsch der Online-Shops, einen lustigen Eintopf aus Buchstaben und Zahlen zusammengerührt: Strümpf5schrei2, Schlacht8wein9, Bier4schweins1.
Meine Passwörter sind gut, ich weiß. So gut, dass niemand darauf kommt. Am wenigsten ich selbst. Welches Passwort passt zu welchem Shop? Verzweifelt hämmere ich eines nach dem anderen in die Tastatur. Der »Anschlusspfeffer«? Gelingt nicht. »Die »Prinzenstolle«? Bleibt im Halse stecken. »Bertschlecht«? Unbekannt.
Ich bin in Eile und will ein langes Ratespiel umgehen. Also registriere ich mich neu, um auch ein neues Passwort wählen zu können. Ich hetze durch den langen Registrierungs-Parcours, bestätige die AGB und klicke dann auf »Weiter«. Antwort: »Ihre Mailadresse ist schon mit einem anderen Passwort registriert.« Aus. Vorbei. Sackgasse.
Der durchschnittliche Online-Käufer muss ein Genie, ein Passwort-Gedächtniskünstler sein. Wenn er es nicht ist, wenn er seine Wortkreationen vergisst, sie durcheinanderbringt oder sich nur um einen Buchstaben vertippt, rennt er sich den Kopf an der Anmeldetür blutig. Und das Angebot der Online-Shops, mir das vergessene Passwort zuzumailen, funktioniert nur, wenn ich weiß, unter welcher meiner zahlreichen E-Mail-Adressen ich mich angemeldet hatte – was meist nicht der Fall ist.
Statt dem Kunden eine Online-Identität zu ermöglichen, mit der sich alle Türen öffnen lassen, muten ihm die Online-Shops zu, sich für jeden Anbieter neu zu erfinden. Im Laufe eines Kundenlebens kommt da ein halbes Passwörterbuch zusammen. Die Kreativität der Kunden soll für das sorgen, was die Anbieter sonst offenbar nicht gewährleisten können: sichere Einkäufe.
Würde Marcel Proust noch leben, sein nächstes Werk hieße sicher: »Auf der Suche nach dem verlorenen Passwort«.
E-Book: Wer hat George Orwell geklaut?
Das E-Book ist eine geniale Erfindung – für den, der es verkauft. Er braucht keine Lagerhallen mehr, keine Gabelstapler, keine Versandmitarbeiter, keinen Postboten; er kann die Buchdatei mit einem Klick zum Käufer zaubern.
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