König Artus
anderen sind ins Verlies gewandert, Euch aber habe ich wegen Eurer Tapferkeit und auch deswegen davor verschont, weil Ihr mich beinahe aus dem Sattel gestoßen hättet. Ergebt Euch jetzt, versprecht, mir loyal zu sein, und ich lasse Euch frei.«
Sir Lyonel wälzte sich unter Schmerzen herum und schaute nach oben. »Wer seid Ihr, und warum habt Ihr diese Ritter gefangengenommen, deren Schilde ich gesehen habe?«
»Ich heiße Sir Tarquin.«
»Der Name hat einen tyrannischen Klang, Sir.«
»Zu Recht, wie Ihr feststellen werdet. In mir tobt ein Haß, der für die meisten Männer zu groß ist, und dessen Last sogar mich herabzieht. Ich hasse einen Ritter, der meinen Bruder tötete. Um meinem Haß Genüge zu tun, habe ich hundert Ritter getötet und noch mehr gefangengenommen, alles in Vorbereitung auf die Begegnung mit meinem Feind. Euch aber bin ich gewogen, und ich werde mit Euch Frieden schließen, wenn Ihr Euch mir fügt.«
»Wer ist der, den Ihr haßt?«
»Sir Lancelot. Er hat meinen Bruder, Sir Carados, erschlagen.«
»War es ein fairer Kampf?«
»Was schert mich das? Er hat meinen Bruder getötet, und dafür werde ich ihn töten. Ergebt Ihr Euch und bittet um Gnade?«
»Nein«, sagte Sir Lyonel.
Da überkam Sir Tarquin düsterer Zorn, und er zog dem jungen Ritter Rüstung und Unterkleidung aus und peitschte den Nackten mit Dornenruten, bis das Blut strömte. »Ergebt Euch!« rief Sir Tarquin.
»Nein«, sagte Lyonel, und die Dornen rissen wieder an seinem Fleisch, bis er vom Blutverlust bleich und ohnmächtig wurde, und dann warf ihn Sir Tarquin, schäumend vor Grimm, die dunklen Stufen hinunter. Lyonel landete auf dem Boden des Verlieses zwischen den anderen Gefangenen. Sein Bruder, Sir Ector, befand sich hier, und auch viele andere kannten ihn. Als sie seine Wunden gestillt und ihn zu Bewußtsein gebracht hatten, berichtete er ihnen mit matter Stimme, wie er den schlafenden Lancelot verlassen hatte. Und die Gefangenen riefen: »Kein anderer kann Sir Tarquin besiegen. Ihr habt falsch gehandelt, als Ihr ihn nicht wecktet. Wenn Lancelot uns nicht findet, sind wir dem Untergang geweiht.« Und die Gefangenen stöhnten in der Finsternis ihres Kerkers und weinten in hilfloser Verzweiflung. Doch Lyonel gedachte des Schlafenden und seines ruhevollen Gesichtes und sprach leise zu sich: »Ich muß Geduld haben. Er wird kommen. Sir Lancelot wird kommen.«
Nun verlassen wir diese gefangenen Ritter
und sprechen von Sir Lancelot vom See, der schlafend
unter dem Apfelbaum liegt.
Die Nachmittagshitze war drückend, der blaue Himmel war mit milchigem Dunst überzogen. Die hohen, weißen Hauben von Gewitterwolken blickten über die Hügel im Nordosten und murmelten in der Ferne. Die unbewegte, heiße, feuchte Luft zog Fliegen, klebrig und träge, herbei. Ein Geschwader von Krähen tummelte sich dahinsausend und spielerisch Rollen schlagend in der Luft. Sie spornten einander krächzend zu immer neuen Flugkunststücken an. Und als sie das an den Apfelbaum gebundene Pferd sahen, kreisten sie tiefer und inspizierten den schlafenden Ritter, aber da eine Dohle es mit ihnen aufzunehmen versuchte, flogen sie angewidert weg. Die zurückgewiesene Dohle landete, beäugte neugierig das Pferd und den schlafenden Mann; dann schritt sie, mutig geworden, wie ein breitschultriger Kämpfer darauf zu. Das neben dem Ritter liegende große Schwert zog die Aufmerksamkeit des Vogels auf sich. Er versuchte, einen roten Edelstein aus dem Griff zu picken, doch eine wirbelnde Wolke aus schwarzen Flügeln und Schnäbeln rauschte herab und vertrieb den Dieb. Ein riesiger, uralter Rabe betrachtete das Bild, hüpfte mit halb ausgebreiteten Flügeln seitwärts und näherte sich dann, als er sich sicher fühlte, mit Sprüngen wie beim Tempelspiel und leise vor sich hinkrächzend, der schlafenden Gestalt. Sein purpurn-schwarzes Gefieder war vom Alter abgewetzt. Er hüpfte dicht hin, drehte den edlen Kopf zur Seite und inspizierte das Gesicht erst mit dem einen und dann mit dem anderen Auge. Die Federn unter seinem Hals sträubten sich und zitterten. »Hägh«, krächzte er leise. »Tod! Fluch! Hund! Ratte! Morgan, Morgan!« Der große Vogel hüpfte beiseite, und die kräftigen Schwingen rissen ihn in die Luft, und mit kraftvollen Flügelschlägen flog er auf eine Kavalkade in der Ferne zu, die in warmen Farben schillerte. Vier Königinnen ritten in einem pomphaften und unwirklichen Aufzug dahin, in Samtgewändern und mit Kronen geschmückt, während
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