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König Artus

König Artus

Titel: König Artus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Steinbeck
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erinnern kann, waren solche ohne Druck. Wenn sich aus meinem bisherigen Weg überhaupt ein Fazit ziehen läßt, dann die Erkenntnis, daß Krisensituationen für mein kreatives Überleben notwendig sind – ein lächerlicher, ja, widerwärtiger Gedanke, aber so ist es nun einmal. Und deshalb flehe ich vielleicht besser nicht um eine Schonpause, sondern um Hunger, Pest, Katastrophen und Bankrott. Dann würde ich vermutlich wie ein Besessener arbeiten. Ich meine das einigermaßen ernst.
    Ein merkwürdiges Gefühl des Schwebens ist über mich gekommen, ein Gefühl, wie wenn man in einem Kanu auf einem nebelverhangenen See dahintreibt, während Geister, Kobolde, aus Nebelschwaden gebildet, vorüberziehen – nur halb zu erkennen, nur teilweise sichtbar. Es wäre vernünftig, sich gegen dieses Verlorensein im Unbestimmten zu wehren, doch aus mehreren Gründen, die ich später darlegen werde, tue ich es nicht.
    Es ist ja schön und gut, wenn man mit dem Vorteil der Rückschau auf das Mittelalter blickt. Die Geschichte ist, zumindest zum Teil, abgeschlossen. Wir wissen – in einem gewissen Maß –, was sich abgespielt hat und warum, wissen, wer oder was die bewegenden Kräfte waren. Dieses Wissen ist natürlich vielfach durch ein Denken gefiltert, das mit dem Denken des Mittelalters keinen gemeinsamen Erfahrungshintergrund hat. Aber der Autor des Morte wußte nicht, was sich vor seiner Zeit abgespielt hatte, was sich in seiner eigenen Zeit alles abspielte, noch auch, was in der Zukunft lag. Er hatte, wie auch wir heute, keinen Überblick, war rat- und hilflos – er wußte nicht, ob York oder Lancaster Sieger bleiben werde, und ebensowenig wußte er, daß das von allen Problemen das belangloseste war. Er muß empfunden haben, daß die Welt der Wirtschaft aus den Fugen geraten war, da es mit der Autorität der Grundherrn bergab ging. Die Revolten der nicht als Menschen zählenden Leibeigenen müssen ihn konsterniert haben. Überall ringsum hörte er Stimmen religiöser Schismen raunen, und das unvorstellbare Chaos einer Erschütterung der Kirche muß ihn umgetrieben haben. Diesen Umbrüchen, die wir nur gesund finden, konnte er sicher nur mit bangem Entsetzen entgegensehen.
    Und aus diesem teuflischen Gebrodel des Wandels – so ähnlich dem heutigen – versuchte er eine Welt der Ordnung, eine Welt der Tugenden zu erschaffen, regiert von Mächten, die ihm vertraut waren. Und wie sah sein Baumaterial aus? Keine Regale mit wohlgeordneten Quellenwerken, nicht einmal die öffentlichen Urkunden seiner Zeit, keine einzige Gewißheit in bezug auf die Chronologie, denn ein solches System existierte nicht. Er besaß nicht einmal ein Wörterbuch irgendeiner anderen Sprache. Vielleicht hatte er ein paar Handschriften, ein Meßbuch, vielleicht die Stabreimdichtungen. Darüber hinaus hatte er nur sein Gedächtnis und seine Hoffnungen und seine Ahnungen. Wenn ihm ein Wort nicht einfallen wollte, mußte er ein anderes nehmen oder ein neues erfinden.
    Und wie waren seine Erinnerungen beschaffen? Ich will es Ihnen sagen. Er erinnerte sich an dieses und an jenes Stück von dem, was er gelesen hatte. Er erinnerte sich an den tiefen und furchteinflößenden Wald und den Schlammbrei der Sümpfe. Er erinnerte sich, ohne sie bewußt zurückzuholen, an Geschichten, die am Kamin in der Halle des Gutshauses von Troubadouren aus der Bretagne erzählt worden waren, oder wußte noch davon, ohne sich genau zu erinnern. Und ebenso barg sein Gedächtnis, was nachts im Schafstall erzählt worden war – von einem Hirten, dessen Vater in Wales gewesen war und dort kymrische Geschichten von wundersamen und mystischen Dingen gehört hatte. Möglicherweise hatte er auch einige der »triads« und vielleicht auch manche Zeile aus den dunkelsinnigen Gedichten behalten, weil die Worte und Wendungen so machtvoll zum Unbewußten sprachen, obgleich ihre genaue Bedeutung verlorengegangen war. Der Schriftsteller hatte auch einen Himmel, über den die Historie zog wie Wolken, ohne zeitliche Ordnung, mit Menschen und Begebenheiten, die alle gleichzeitig nebeneinander existierten. Unter ihnen waren Freunde, Verwandte, Könige, alte Götter und Helden der Vorzeit, Geister und Engel und ein Tohuwabohu von Gefühlen und verlorengegangenen und wiederentdeckten Traditionen.
    Und schließlich hatte er sich selbst als literarisches Material – seine Laster und Niederlagen, seine Hoffnungen und Beunruhigungen, die Dinge, die ihn zornig machten, seine Gefühle der Unsicherheit,

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