König Artus
Zeichnungsgerät. Dem Inhalt von Vereinbarungen und Verträgen wurde dadurch Dauer verliehen, daß man sie jungen Gefolgsleuten ins Gedächtnis prügelte. Die Ausbildung der walisischen Dichter bestand nicht in Übungen, sondern im Auswendiglernen. Sobald einer 10000 Gedichte beherrschte, bekam er eine Anstellung. Das war immer so. Das Instrument, das vom geschriebenen Wort zerstört wurde, muß höchst imponierend gewesen sein. Die Pastons erwähnen, daß sie ihren Boten den Brief lesen ließen, so daß er ihn Wort für Wort aufsagen konnte, falls er ihm gestohlen wurde oder abhanden kam. Und manche von diesen Briefen waren sehr kompliziert. Wenn Malory im Gefängnis war, brauchte er vermutlich keine Bücher. Er kannte sie. Wenn meine Bibliothek aus nur zwölf Büchern bestünde, wüßte ich sie auswendig. Und wie viele Männer im 15. Jahrhundert hatten kein Gedächtnis? Nein – zu dem Buch, das man besaß, muß das entliehene und auch das gehörte Buch getreten sein. Herodots gewaltige Geschichte der Perserkriege war allen Athenern bekannt, und sie haben das Buch nicht gelesen, sondern es wurde ihnen vorgelesen.
Ich reite deswegen darauf herum, weil ich finde, dieser Punkt des Gedächtnisses hat nicht genug Beachtung gefunden. Alles Gehörte wurde katalogisiert, bis die Bibliothek der Erinnerungen gewaltige Ausmaße erreichte – und alles im Kopf gespeichert. In Shakespeares Zeit konnte sich ein Mann mit einem guten Gedächtnis eine ganze Szene aus einem Stück merken und sie hinterher niederschreiben. Das war die einzige Möglichkeit, sie zu stehlen.
Ich möchte nicht, daß Sie den Eindruck bekommen, mir sei allmählich allzusehr darum zu tun, wer Malory war. Ich finde nicht, daß das sehr wichtig ist. Aber ich möchte doch dahinterkommen, was er war und wie er sich zu dem entwickelte, was er war. Wenn der Malory des Morte der Malory der Verhöre und Anklagen und der Gefängnisausbrüche war, dann war er kein Junge aus dem höchsten Adel, der einsam in einem Elfenbeinturm saß. Sein Umgang bestand aus Tagelöhnern, Freibauern, Schneidern – und was ist zu Richard Irysheman zu sagen? Und die Namen – Smyth, Row, David, Wale, Walman, Breston, Thorpe, Hellorus, Hände, Tidman, Gibb, Sharpe? Das sind keine Namen von Adeligen. Es sind Bauern oder Gildenmitglieder. Es waren auch vom Leben abgehärtete Männer, ganz und gar eingestellt auf jene rauhen Zeiten.
Ich weiß, man kann sagen, die Form habe gewisse ritterliche Konventionen verlangt. Doch besonders in den letzten Teilen kamen ihm Dinge unter, die ihm vertraut waren, Bäume, Pflanzen, Wasser, Erdreich, Sprachgewohnheiten, Kleidungssitten. Warum dann nicht auch die Waffen, die er kannte – Bogen und Pfeile? Unter Beauchamp diente er mit einer Lanze und zwei Bogenschützen. Das ist ungefähr die übliche Mischung damals. Bei Agincourt [recte: Azincourt] waren von den geschätzten 6000 englischen Kämpfern etwa 4000 Bogenschützen. Sollte man also nicht erwarten, daß ein Mann, der später, aber bei ganz ähnlicher Taktik in Frankreich diente, ein bißchen von dem, was ihm vertraut war, mit unterbrachte, als er schließlich über den Krieg schrieb? In vielen anderen Punkten tat er das ja. Seine Vertrautheit mit Menschen und Tieren drängte die Konventionen des Versromans beiseite und nahm herein, was für die damalige Zeit ungeheuer realistisch war.
Inzwischen sind mehrere Tage vergangen. Ich kann wieder einmal nicht genug betonen, wie wenig die Philologen die mündliche Überlieferung in Betracht gezogen haben. Da sie Bücher als Kommunikationsträger gewöhnt sind, entgeht ihnen, daß noch vor gar nicht so langer Zeit die Bücher und das Bücherschreiben die seltenste Form der Vermittlung waren. Man denke nur an die Millionen Regeln für das Alltagsleben, für das Spinnen, die Landwirtschaft, das Fasten, Bierbrauen, Bauen, Jagen zusammen mit Handwerk und Kunsthandwerk! Nichts davon aufgeschrieben und gleichwohl weitergegeben. Ich möchte diesen Punkt stark betonen, vor allem in meinem eigenen Kopf.
Zweiter Punkt: die Vorstellung, daß der Zyklus Besitz der Auserwählten, der des Lesens und Schreibens Kundigen, der Kreise der Gelehrten gewesen sei. So war es nicht. Chaucer selbst hat uns die Antwort gegeben. Er und auch Boccaccio haben die zyklische Form nicht erfunden. Die Geschichten wurden erzählt, im Gedächtnis gespeichert, wiedererzählt. Und erst ganz zuletzt wurden sie aufgeschrieben. Und das Verblüffende daran ist, wie rein und mit wie wenig
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