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König der Dunkelheit: Roman (German Edition)

König der Dunkelheit: Roman (German Edition)

Titel: König der Dunkelheit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Lawrence
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mein Herz, und Kälte umhüllte mich.
    Ich wusste, dass ich nur wenig Macht hatte, nur ein kleines Rinnsal, wie die Wasserbände in den breiten Schlickzonen. Aber es steckte noch Wärme in Row. Sein Herz schlug nicht, doch es zitterte und zuckte, und was noch wichtiger war: Ich kannte ihn, durch und durch. Ich hatte ihn nicht gemocht, aber ich kannte ihn.
    Um einen Toten gehen zu lassen, muss man seine Haut tragen. Man muss darunterschlüpfen, seinen Herzschlag wie ein Echo im eigenen Leib hören, ihm die eigenen Gedanken geben.
    Ich spuckte, wie Row es getan hatte. Ich hob den Kopf und beobachtete die Brüder aus zusammengekniffenen Augen, sah sie mit Rows Gefühlen, mit Sympathie, Ablehnung, Neid, altem Groll und den Erinnerungen an Schulden und Verpflichtungen.
    »Bruder Row«, sagte ich.
    Ich erhob mich. Wir erhoben uns. Er erhob sich.
    Ich stand seiner Leiche direkt gegenüber, und er beobachtete mich von einem fernen Ort durch Augen, die einst ihm gehört hatten. Die Brüder schwiegen, als ich zum Tümpel zurückkehrte und Row mir folgte.
    »Such es«, sagte ich.
    Ich brauchte nicht zu erklären, was ich meinte. Wir trugen dieselbe Haut.
    Row stapfte in den Tümpel und ließ sich von ihm aufsaugen. Ich ging in die Hocke und hielt Ausschau.
    Row war ganz versunken, als ich plötzlich Stahl im Nacken fühlte. Ich drehte den Kopf und sah an der Klinge entlang.
    »Mach das nie mit mir, auf keinen Fall«, sagte Makin. »Schwöre es.«
    »Ich schwöre«, sagte ich.
    Er musste mich nicht dazu drängen.

34
Vier Jahre zuvor
    Wir schienen den größten Teil unseres Lebens durch den Sumpf gelaufen zu sein. Von Kopf bis Fuß steckten wir voller Schlamm. Weiße Haut zeigten die Brüder nur, wenn sie sich Dreck von den Augen kratzten. Als die Sonne nun rot dem westlichen Horizont entgegensank, sahen sie immer wilder aus. Bald, wenn die Sonne im Sumpf ertrank und uns in Dunkelheit zurückließ, würden auch wir ertrinken.
    »Noch mehr von den Scheusalen!«, rief Rike. Wieder war er der einzige, der übers Meer aus Rohr und Schilf sehen konnte.
    »Wie viele?«, fragte ich.
    »Alle«, sagte er. »Das ganze Schilf scheint vor ihnen zu fallen.«
    Ich hörte das Knurren in der Abendluft, leise zwar, aber sehr deutlich. Ich klopfte auf das Kästchen an meiner Hüfte. Row hatte zwei Stunden gebraucht, um es zu finden, zwei lange Stunden, bis seine Hand an die Oberfläche zurückgekehrt war und mir den kleinen Behälter gegeben hatte. Den Brüdern hatte das Warten gar nicht gefallen, aber auch mit zwei zusätzlichen Stunden wären wir nicht in der Lage gewesen, Chellas
schlammige Hölle zu verlassen. Wir ließen Row in dem Tümpel zurück. Makin teilte ich mit, ich hätte ihn freigegeben, aber das stimmte nicht.
    »Kannst du irgendwo offenes Gelände erkennen?«, fragte ich.
    Rike antwortete nicht, stapfte aber zielstrebig los, und wir folgten ihm.
    Das Knurren wurde lauter, dicht hinter uns. Wir liefen, während das Platschen vieler Füße mit jeder verstreichenden Sekunde näher kam. Wir hörten, wie die Verfolger das Schilf hinter uns zerrissen.
    In einem Moment rannte ich durch grünes Dickicht, und im nächsten erreichte ich eine niedrige Anhöhe. Sie fühlte sich nach einem Hügel an, obwohl sie nicht mehr als etwa einen Meter aus dem Wasser ragte.
    »Gute Arbeit«, sagte ich zu Rike und schnappte nach Luft. Auf freiem Feld stirbt sich’s besser.
    Chellas Heer drängte von allen Seiten heran. Die schnellen Toten, fleckig vom Sumpf, mit unsterblichem Zorn in den Gesichtern und einem unheiligen Licht in den Augen, Dutzende von ihnen … Sie schwärmten aus und umzingelten die Anhöhe. Ihnen folgten nur wenig später die grauen, verfaulten Toten durchs flachgedrückte Schilf, unter ihnen die Leichen aus der Tiefe, ihre Haut so zäh wie altes Leder, und auch so dunkel. Price überragte alle anderen, mit seinen langen Knochen und dem verrottenden Fleisch daran. Chella ging an seiner Seite und trug ein weißes Kleid mit Spitzen und Borten, ein Gewand von der Art, wie es Frauen bei der Hochzeit trugen. Und es klebte kaum Schlamm daran.
    »Hallo, Jorg.« Sie flüsterte und stand weit entfernt, aber die Worte kamen aus dem Mund aller Toten.
    »Kein Streit an unserem Hochzeitstag, Jorg«, sagte sie, und die wandelnden Leichen wiederholten es. »Der Tote König ist auferstanden. Die schwarzen Schiffe stechen in See. Du wirst mich begleiten und mich lieben. Zusammen öffnen wir das Goldene Tor für unseren Herrn und setzen einen neuen

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