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König der Dunkelheit: Roman (German Edition)

König der Dunkelheit: Roman (German Edition)

Titel: König der Dunkelheit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Lawrence
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Glen humpelte weiter und blieb schließlich neben Chella stehen.
    Ich fragte mich, wie der Geist des Friars hierherkam und mich mit solchem Hass anstarrte. Aus einer Entfernung von fünfzig Metern spürte ich ihn, diesen Hass. Aber mehr noch als Friar Glen beschäftigten mich Chellas Worte, die sie vor seinem Erscheinen gesprochen hatte.
    Die Gemeinde ist versammelt.
    Die schnellen Toten kamen näher, obwohl ich keine Anweisung gehört hatte. Mit langsamen Schritten näherten sie
sich, ihre Hände bereit, zu packen, zu drehen und zu reißen. Gegen so viele konnten wir uns nicht behaupten.
    »Es ist keine richtige Hochzeit, wenn meine Familie nicht an der Zeremonie teilnimmt.« Ich steckte mein Schwert in die Scheide.
    »Manche Geister kann ich nicht holen. Die königlichen Toten werden in gesegneten Gräbern bestattet und liegen dort bei alter Magie. Ich hätte deine Mutter schon längst für dich tanzen lassen, wenn ich dazu in der Lage wäre«, sagte Chella. Das Flüstern erreichte mich durch die Menge, es zitterte auf den Lippen der schnellen Toten, als sie noch näher kamen.
    Die Gemeinde ist versammelt, aber manche Geister kann sie nicht holen.
    Hinter uns wieherten die Pferde, die uns geblieben waren. Sie waren nervös, selbst der Grauschimmel.
    »Ich dachte an meine Brüder«, sagte ich und deutete nach links und rechts, auf Makin, Kent, Grumlow und Rike.
    »Sie können der Zeremonie beiwohnen«, sagte Chella. »Ich lasse ihnen ihre Augen.«
    »Was ist mit Musik und Dichtern für hübsch klingende Vorträge? Was ist mit Blumen?«, fragte ich, um Zeit zu gewinnen.
    »Du willst Zeit gewinnen«, sagte Chella.
    Die Gemeinde ist versammelt. Abgesehen von denen, die sie nicht holen kann. Und die sie nicht zu holen wünscht.
    »Es gibt da einen Dichter, an den ich denke, Chella. Ein Gedicht. Passend für diese Gelegenheit. Es heißt ›An seine spröde Geliebte‹.«
    »Bin ich spröde?« Chella kam näher, trat durch die Reihen ihrer Toten.
    Die Weisheit der Dichter hatte die der Erbauer überlebt.
    »In dem Gedicht geht es um Zeit, zumindest teilweise. Darum, dass der Dichter die Zeit nicht anhalten kann. Und zum Schluss sagt er: ›Wenn das Halten der Sonne nicht kann gelingen, wir sie können doch zum Laufen bringen.‹«
    Geister können Menschen nicht verletzen. Aber sie können sie in den Wahnsinn treiben. Sie können ihnen keine Wunden zufügen, sie aber so sehr quälen, dass sie sich das Leben nehmen. Diese Wahrheit spürte ich; meine gestohlene Nekromantie bestätigte sie mir. Aber Geister schienen sehr wohl in der Lage zu sein, Tote zu verletzen. Ich hatte es mit eigenen Augen gesehen. Die Leichen, von Chella in Bewegung gesetzt, konnten von Geistern zu Fall gebracht werden, weil sie ihrer Welt näher waren, weil sie den Toren des Todes nahe genug standen, damit Geister sie packen und würgen konnten.
    »Wie nett«, sagte Chella. »Aber es wird mich nicht aufhalten.«
    »Dann werde ich dich zum Laufen bringen.« Ich nahm meine ganze Willenskraft zusammen und rief die Geister, die allein mir gehörten. Ich zog sie durchs Tor, das Chella geöffnet hatte. Mit ausgebreiteten Armen rief ich alle Geister und Phantome, die mir in diesen langen Jahren gefolgt waren. Ich ließ sie durch meine Brust ziehen, und sie kamen mit dem Schlag meines Herzens. Ich konnte Chella nicht daran hindern, die Geister zu rufen, die sie hierher holen wollte, aber ich konnte sehr wohl dafür sorgen, dass alle kamen, jeder einzelne von ihnen. Und zwar schnell.
    Und sie kamen. Die von Chella nicht eingeladene Gemeinde. Die brennenden Toten von Gelleth, die ersten, die das Licht der Erbauer-Sonne erreicht hatte, nicht Opfer vom Rand der Explosion wie Ruth und ihre Mutter, sondern jene, die in der Roten Burg verbrannt waren, im Herzen des Infernos. In
einer endlosen Flut strömten sie aus mir. Zehn von ihnen für jedes Kind von Gelleth, das Chella gerufen hatte. Und meine Toten, die brennenden Toten, brachten ein besonderes Feuer. Sie brannten lichterloh, mit Fleisch, das ihnen halb flüssig geworden über die Knochen rann. Flammen umgaben jeden Mann und jede Frau, und sie alle schrien und taumelten. Hinter ihnen, ruhigen Schrittes, kamen Geister von einer neuen Art, jeder von einem schrecklichen Licht erfüllt, das ihr Fleisch rosarot glühen ließ und die Knochen darin in dunkle Schatten verwandelte.
    Ich sah nichts als Feuer und Hitze, hörte nur Schreie, und nach einer Ewigkeit standen wir allein auf dem kleinen Hügel. Von Chella und

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