Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
König der Dunkelheit: Roman (German Edition)

König der Dunkelheit: Roman (German Edition)

Titel: König der Dunkelheit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Lawrence
Vom Netzwerk:
Grumlow mochte Sim; Furcht würde seine Hand nicht daran hindern, sich zu bewegen.
    »Du hast also meinen Bruder. Iss sein Herz, und wir sind quitt, wieder am Anfang«, sagte ich. Mir war klar, dass Chella Sim nicht loslassen würde. Sie wollte nur, dass ich sie darum bat.
    »Oh, du kannst nicht zurück, Jorg. Das solltest du wissen. Du kannst nie zurück. Nicht einmal dann, wenn die Nekromantie restlos aus dir verschwindet. Sieh nur!« Sie änderte ihren Griff und zog Sims Kopf nach rechts. Viel zu weit nach rechts. Das Knirschen der Knochen ging mir durch Mark und Bein. »Unnnnd …« Sie drehte den Kopf langsam zurück, damit Sims Gesicht wieder uns zugewandt war. »Er ist wieder da. Aber nicht so wie vorher, oder?«
    »Schlampe!« Row ließ den Pfeil von der Sehne schnellen. Vielleicht zitterte seine Hand, oder Chella bewegte sich schneller, als ich sehen konnte, ich weiß es nicht. Jedenfalls steckte der Pfeil plötzlich in Sims Auge.
    »Sieh nur, was du getan hast.« Chellas roter Mund lächelte, und ihre Augen blickten verführerisch, als sie Sim ins Ohr flüsterte.
    Grumlow warf sein Messer, doch Chella fiel bereits. Vielleicht erreichte die Klinge sie, aber das Wasser schloss sich über ihr, bevor ich Gewissheit erlangen konnte.
    Sim blieb stehen, trotz des gebrochenen Genicks und des Pfeils im Auge. Und dann trat er einen unsicheren Schritt auf uns zu. Das klare Wasser zwischen dem Schilf trübte sich, als der Schlamm darunter in Bewegung geriet.
    »Das Meer!«, rief ich und streckte obendrein die Hand aus. Der Fürst von Pfeil hatte mir geraten, das Meer zu sehen, und vielleicht war dies die letzte Gelegenheit dazu. Ich musste die Brüder nicht extra auffordern. Wir liefen los und hofften, dass Bruder Sim ebenso langsam war wie die anderen Toten, und nicht so schnell, wie wir ihn in Erinnerung hatten.

    Bruder Row kann man trauen. Man kann darauf vertrauen,
dass er lügt, betrügt und vielleicht auch verrät. Am meisten
aber kann man darauf vertrauen, dass er seinem wahren Wesen
gerecht wird: Er ist ein Schleicher, ein Mörder im Dunkeln, sehr
nützlich beim Kampf. Man vertraue darauf, und er wird einen
nicht enttäuschen.

33
Vier Jahre zuvor
    Das Meer fügte dem Gestank der Cantanlona-Sümpfe lediglich einen Salzgeruch hinzu.
    Ich sah jetzt die weite Wasserfläche vor uns, noch immer Meilen entfernt.
    »Wenigstens sind sie langsam«, sagte Kent. Er platschte neben mir, mit der Axt in der Hand, und riskierte einen Blick über die Schulter. Mit einer scharfen Axt durch einen Sumpf zu laufen und dabei nach hinten zu sehen, ist nicht ratsam, andererseits: Nichts von dem, was wir seit zwei Tagen machten, war sonderlich ratsam.
    Die Meeresbrise trug uns ein leises Stöhnen entgegen. Ich versuchte, mir deshalb keine Sorgen zu machen.
    Wir liefen weiter und hielten es nach unseren jüngsten Erfahrungen für besser, keine Pause einzulegen. Vier Pferde folgten uns – Rows hatte sich bei einem Tritt in ein Schlammloch das Bein gebrochen. Ich wies Kent an, ihm die Beine abzuschneiden, nachdem Row das Tier getötet hatte. »Chella soll keine Gelegenheit erhalten, das Tier auferstehen und die Toten darauf reiten zu lassen.«
    Das Meer wurde immer größer. Bald würde der Sumpf in eine Salzmarsch übergehen.
    »Jesus, bitte hilf uns.« Row blieb vor mir stehen. Von allen Brüdern erwartete man von ihm als letzten, dass er himmlischen Beistand erflehte.
    Ich verharrte neben ihm. Das Moor, in dem wir unterwegs gewesen waren, endete plötzlich, und vor uns erstreckte sich ein Watt, das nach etwa zweihundert Metern in Rohr überging. Es war nicht der Schlick des Watts, der Row veranlasst hatte, stehenzubleiben. Es waren die Köpfe.
    Alle fünf Meter, wie Kohl auf einem Feld, ragte ein Kopf aus dem Schlamm. Die nächsten von ihnen hörten auf zu stöhnen, drehten die Augen und sahen uns an.
    Der Kopf vor Row – er hatte leichte Hängebacken und gehörte offenbar einer Frau in mittleren Jahren – bemühte sich, unsere Gesichter zu erkennen. »Bei Gott, errettet mich«, sagte sie. »Errettet mich.«
    »Lebst du?« Ich sank vor ihr auf ein Knie. Der Schlick war so fest wie nasser Ton.
    »Errettet mich!«, heulte sie.
    »Sie sind unter uns.« Diese Worte kamen von einem Mann weiter links. In Makins Alter mochte er sein und hatte einen schwarzen Bart. Nur am unteren Teil des Bartes klebte Schlamm; Regen schien den oberen saubergewaschen zu haben.
    Ich streckte die in meinen Fingerspitzen lauernde Nekromantie aus und

Weitere Kostenlose Bücher