König der Dunkelheit: Roman (German Edition)
spürte in diesem Schlick nicht mehr Tod als im Sumpf hinter uns. Mit Ausnahme dieser Leute. Deutlich fühlte ich, wie das Leben sie verließ und etwas wich, das weniger lebendig war, dafür aber dauerhafter.
»Sie reißen mir die Haut vom Leib!« Aus der Stimme des Mannes wurde ein Kreischen.
Rechts von uns sah ich eine jüngere Frau, mit schwarzem Haar im Schlick. Sie hob uns ihr Gesicht entgegen, die Haut wie meine Brust von dunklen Adern durchzogen, und knurrte. Es war ein tiefes, kehliges Knurren, voller Hunger. Und hinter ihr bemerkte ich eine weitere Frau, die ihre Schwester hätte sein können. »Sie kommen nachts. Tote Kinder. Sie geben uns fauliges Wasser und füttern uns mit schrecklichen Dingen. Mit schrecklichen Dingen.« Sie ließ den Kopf wieder sinken.
»Tötet mich.« Ein Mann weiter draußen im Watt.
»Mich auch.« Noch einer.
»Wie lange …«, begann ich.
»Wie lange seid ihr schon hier?«, fragte Makin.
»Drei Tage.«
»Zwei Wochen.«
»Neun Tage.«
»Seit einer Ewigkeit!« Das Stöhnen und Knurren wurde immer lauter.
Ich richtete mich auf, mit Kälte in den Gliedern und Elend im Bauch. »Warum?«, fragte ich Makin. Er zuckte die Schultern.
»Ich weiß es«, sagte Rike.
»Du weißt gar nichts, Rike«, erwiderte ich.
Aber er wusste es wirklich. »Die Schnellen und die Toten«, sagte er. »Die Nekromantin macht sie hier. Sie lässt sie schmoren und verwandelt sie langsam, wodurch sie schneller werden. Von dieser Art habe ich gehört.«
Draußen im Watt beobachtete uns ein weiterer Kopf mit neuer Gier und heulte. Mehrere andere stimmten in das Heulen mit ein.
»Gib ihnen, was sie wollen, Kent«, sagte ich.
»Nein! Gnade!« Die Frau zu Rows Füßen flehte. »Ich habe Kinder.«
»Oder wenn sie es nicht wollen … Gib ihnen, was sie brauchen.«
Kent machte sich daran, das Feld zu scheren. Rote Arbeit, und schwer für den Rücken. Die anderen halfen ihm, und Rike zeigte dabei ungewöhnlich viel Enthusiasmus.
Wir liefen weiter, darauf versessen, diesen Ort schnell zu verlassen.
»Es wird nicht das einzige Feld sein«, sagte Makin. Er hatte unterwegs auch den anderen Stiefel verloren und lief jetzt barfuß.
Meine Sorge galt weniger, was Chella wachsen ließ, sondern dem, was sie bereits geerntet hatte.
Wir liefen durch ein grünes Meer, um ein graues zu erreichen. Rohr und Schilf reichten uns bis zur Brust und höher, und der dunkle Schlamm darunter nahm das Bein bis zur Wade auf, bevor man den nächsten Schritt machen konnte. Breite Streifen offenen Schlicks trennten die Rohr-Bänke, jeder mit einem kleinen Bach in der Mitte. Ich hörte die fernen Wellen, als wir eine weitere dieser Trennzonen erreichten.
»Nein.« Grumlow legte mir die Hand auf die Schulter, bevor ich auf den Schlick treten konnte.
Vor uns, in der Mitte des leeren Streifens, wo der Bach ein glitzerndes Band formte, geriet der Schlamm in Bewegung.
Row nahm seinen Bogen. Ich spannte die Armbrust des Nubiers.
Der Schlamm bewegte sich erneut, wölbte sich nach oben und floss dann in widerstrebenden Wellen, als etwas Schwarzes zum Vorschein kam.
»Es ist ein verdammtes Boot«, sagte Rike.
Dies schien Rikes Tag dafür zu sein, recht zu haben. Ein Fischerboot aus schwarzem, verfaulendem Holz kam wie unter
einer Monsterwelle hervor. Seine Besatzung erhob sich an Deck und schüttelte Schlick und tote Fische ab, als sie sich aufrichtete. Ich dachte an den dicken Kapitän des Kahns, der immer wieder den Reim überquerte. Vielleicht war es eine kluge Entscheidung von ihm, bei einer vertrauten Route zu bleiben.
»Zurück!« Ich führte die Brüder wieder zum Schilf.
Wir liefen und bahnten uns einen Weg durch Rohr, das über meinen Kopf hinwegragte. Rohrkolben schlugen uns immer wieder ins Gesicht.
»Etwas kommt!«, rief Rike. Er konnte noch immer übers Grün hinwegsehen.
»Vom Boot?«, erwiderte ich.
»Nein, von der anderen Seite.«
Wir änderten den Kurs und liefen noch schneller.
Ich hörte sie, wie sie durchs Schilf kamen und zu uns aufschlossen.
»Was ist es?«, rief ich.
»Kann es nicht erkennen.« Rike schnaufte jetzt. »Ich sehe nur, wie sich das Grünzeug bewegt.«
»Anhalten!« Ich befolgte meinen eigenen Befehl, ließ die Armbrust des Nubiers fallen, zog mein Schwert und schnitt damit durchs Schilf. »Schafft eine Lichtung!«, rief ich.
Es hat keinen Sinn, zu laufen, wenn man eingeholt wird.
Drei Tote erreichten die Lichtung, als wir noch damit beschäftigt waren, sie anzulegen. Sie waren
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