König der Dunkelheit: Roman (German Edition)
durch das die Hohe Burg Lieferungen empfängt. Karren werden dort entladen und Botschaften Kurieren übergeben, die sie in weiter entfernte Teile der Stadt tragen. Eine Patrouille, bestehend aus zehn Soldaten in Diensten meines Vaters, kommt an der Ulmenstraße vorbei, durch die ich gehe. Die Männer werfen mir einen Blick zu, aber keinen zweiten.
Drei Fackeln brennen über dem Osttor. Man nennt es »Tor«, aber in Wirklichkeit ist es eine Tür, fünf Meter hoch und drei breit, schwarze Eiche mit Eisenbändern. Eine kleine Tür ist in der größeren eingelassen, für Menschen bestimmt und nicht für Riesen. Ein Ritter in Rüstung hält dort Wache. Wenn er wirklich etwas sehen will, sollte er besser im Dunkeln stehen.
Ich wende mich zur Seite und erreiche die Burgmauer dicht bei der Ecke der großen quadratischen Festung.
Ein Mann, der sich vor dem Messer eines Meuchelmörders schützen möchte, konzentriert sich auf die Verteidigung. Einen einzelnen anonymen Feind kann man nicht daran hindern, die Grenze des Reiches zu überschreiten. Man kann ihn nicht daran hindern, die Stadt zu betreten, und wenn er einigermaßen geschickt ist, kann man ihn auch nicht daran hindern, einen Weg über die Festungsmauern zu finden. Die Burg könnte ihn festhalten, wenn sie gut genug bewacht ist, aber man sollte
nicht sein Leben darauf wetten. Um die Pläne des Mörders zu vereiteln, breitet man die Verteidigung nicht weit aus, sondern konzentriert sie in der Nähe. Zehn gute Männer beim Schlafgemach können mehr ausrichten als tausend im Königreich verstreut.
Mein Vater hält seine Burg mit vielen Patrouillen sicher, aber als ich sieben war, kannte ich sie von außen noch besser als von innen. In der Dunkelheit der Nacht erklettere ich die Hohe Burg erneut. Meine Finger tasten über rauen Erbauer-Stein, und durchs Leder der Stiefel finden meine Zehen vertraute Haltepunkte. Ich umarme die Mauer, fühle sie an der Wange. Das Sternenlicht zeigt mir meine weißen Knöchel, als ich mich an der Ecke der Hohen Burg festhalte und nach oben ziehe.
Unter den Zinnen halte ich inne. Ein Soldat bleibt stehen, lauscht, beugt sich vor und beobachtet ein fernes Licht. Die Zinnen sind der Burg nachträglich hinzugefügt worden, sie ruhen auf dem Erbauer-Stein. Die Erbauer hatten Waffen, die Burgen und Zinnen zum Gespött machten. Ich weiß nicht, was die Hohe Burg war, als die Erbauer sie errichteten, aber sie war gewiss keine Burg. Im tiefsten Teil des Verlieses, unter dicken Schmutzschichten, verkündet ein Schild: »Kein Nachtparkplatz«. Seltsame Worte, mit denen ich nichts anfangen kann.
Der Soldat geht weiter. Ich erklimme die dicke Mauer und klettere auf der anderen Seite an einem Stützbalken für den Laufgang hinunter.
In einer dunklen Ecke des Hofes nehme ich die Mütze ab und stecke sie in den Rucksack. Ich hole einen Kapuzenkittel hervor, blau und rot, die Farben von Ankrath. Eine Frau namens Mable hat ihn in der Spukburg für mich geschneidert, im Stil der Kleidung, wie sie die Bediensteten meines Vaters tragen. Ich streife sie über, verberge das Haar unter der Kapuze und
trete durch die Druckerstür ein. Nach kurzer Zeit begegne ich einem Tafelritter, der seine Runde macht, Sir Aiken, wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt. Ich halte den Kopf hoch erhoben, und er beachtet mich nicht. Jemand, der den Kopf senkt, verbirgt sein Gesicht und ist deshalb eine Überprüfung wert.
Von der Druckerstür nach links und dann nach rechts, durch einen kurzen Flur zur Kapelle. Die Tür der Kapelle ist nie verschlossen. Nur zwei Kerzen brennen dort, kaum mehr als Stummel, und spenden wenig Licht. Niemand hält sich hier auf. Ich gehe weiter.
Friar Glens Unterkunft befindet sich in der Nähe der Kapelle. Seine Tür ist geschlossen, aber ich habe ein geeignetes Stück Metall dabei, dünn genug, um durch die schmale Lücke zwischen Tür und Rahmen zu passen, und stabil genug, um den Riegel anzuheben.
Sein Zimmer ist sehr dunkel, hat aber ein hohes Fenster, zum Hof hin gelegen, wo Makin die Junker in den Künsten des Kampfes unterwies. Ein wenig Licht kommt herein, genug für meine Augen. Es stinkt hier, wie von Käse, der zu lange in der Sonne lag. Ich stehe reglos und lausche dem Schnarchen des Friars, während mein Blick nach ihm sucht.
Er liegt zusammengerollt in seinem Bett, wie eine beim Kriechen erstarrte Raupe. Vom Zimmer sehe ich wenig, nur ein Kreuz an der Wand. Der daran festgenagelte Heiland wirkt abwesend, als machte er ein
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