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König der Dunkelheit: Roman (German Edition)

König der Dunkelheit: Roman (German Edition)

Titel: König der Dunkelheit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Lawrence
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dort eben noch stattgefunden hatte. Und während Hobbs unsere Männer zählte, starben Tausende und Abertausende von Soldaten unter der frischen weißen Decke, die sie gefangen hielt, in der sie blind nach Atem rangen, wo es keine Luft gab.
    Manchmal fühle ich die Notwendigkeit einer Lawine in meinem Innern. Eine neue, saubere Seite, das Vergangene weggewischt. Tabula rasa. Ich fragte mich, ob diese Lawine reinen
Tisch für mich machte. Dann sah ich einen Schatten im Weiß zu meinen Füßen, einen Knaben, so flach im Schnee begraben, dass er ihn nicht verbergen konnte. Nicht einmal die Macht der Berge war imstande, mich vom Makel meiner Vergangenheit zu befreien.
    Während Hobbs weiterhin Namen nannte, zog ich das Kupferkästchen aus dem Beutel an meiner Hüfte, setzte mich an den Hang und grub die Fersen in den Schnee.
    Ein Mann besteht aus seinen Erinnerungen. Das sind wir: eingefangene Momente, der Geruch eines Ortes, Szenen, die sich immer wieder auf einer kleinen Bühne wiederholen. Wir sind Erinnerungen, an die Handlungsstränge der Geschichten gebunden, die wir uns über uns selbst erzählen, während wir durch unser Leben ins Morgen fallen. Das Kupferkästchen enthielt meine Erinnerungen. Es enthielt mich.
    »Was nun?«, fragte Makin und sank neben mir in den Schnee.
    Tief unten, am Rand der Lawine, sah ich Bewegung: Punkte, die Reste von Pfeils Truppe, die zur Hauptstreitmacht zurückkehrten.
    »Nach oben«, sagte ich.
    »Nach oben?« Makin zeigte seine Überraschung, indem er die Brauen hob. Niemand verstand das so gut wie Makin; er war ein Meister der Überraschung.
    Es erschien mir nicht richtig, unvollständig zu sterben.
    »Es ist nicht sehr schwer zu verstehen.« Ich stand auf und stapfte den Hang hinauf. Mein Ziel lag ein wenig links vom Gipfel, dort, wo der Pass des blauen Mondes einen tiefen Einschnitt in der Flanke des Botrang schuf.
    Hobbs sah mich gehen. »Nach oben?«, fragte er. »Aber der Pass ist im Winter immer blockiert.« Er blickte sich um. »Oh.« Und er winkte den Männern zu, die vorgetreten waren,
um beim Appell zu antworten. Er forderte sie auf, mir zu folgen.
    Ich hielt noch immer das Kupferkästchen in der Hand, heiß und kalt, glatt und scharf. Es erschien mir nicht richtig, zu sterben, ohne zu wissen, wer ich war.
    Das Kind ging jetzt neben mir, barfuß im Schnee. Sein Tod widerstand sogar dem Licht des Tages.
    Mit dem Daumennagel öffnete ich den Deckel.
     
    Bäume, Grabsteine, Blumen und Katherine .
    »Wer hat dich gefunden, nachdem ich dich geschlagen habe?«, frage ich sie. »Ein Mann befand sich in der Nähe, als du wieder zu dir kamst.«
    Sie runzelt die Stirn. Ihre Finger berühren die Stelle, an der die Vase zerbrach. »Friar Glen.« Zum ersten Mal sieht sie mich mit ihren alten Augen, klar, grün und scharf. »Oh.«
    Ich gehe fort.
    Ich lasse den Wald von Rennat hinter mir zurück und gehe in Richtung Crath City. Die Hohe Burg ragt hinter der Stadt auf. Es ist ein ruhiger Tag, und der Rauch aus den Schornsteinen der Stadt steigt in geraden Linien auf, als wollte er ein Gitter für die Burg schaffen. Vielleicht, um sie vor mir zu schützen.
    Von den Feldern aus sehe ich, wie sich die Untere Stadt am Fluss namens Sane und den Anlegestellen ausbreitet. Dahinter steigt das Gelände zur Alten und zur Hohen Stadt an. Die Straße von Rom schneidet meinen Weg, und ich folge ihr zur Unteren Stadt, die ohne Tore ist, für die Welt geöffnet. Ich habe einen Hut dabei, eine Mütze mit verblassten Farben, von der Art, wie sie die Leute vom Hafen tragen. Ich stopfe das Haar darunter und ziehe sie mir tief in die Stirn. In der Unteren
Stadt wird man mich nicht bemerken, denn sie wird von den Leuten gemieden, die mein Gesicht kennen.
    Ich gehe durch den Vorort: nichts als armselige Hütten und Müllhaufen, ein Geschwür am Hintern der Stadt. Selbst ein schöner Tag im Frühling kann hier nichts blühen lassen. Kinder wühlen in dem Dreck, den die Armen hinterlassen haben. Sie folgen mir, als ich den Weg fortsetze. Mädchen, kaum zehn Jahre alt oder noch jünger, versuchen, mit großen Augen und zugeworfenen Küssen meine Aufmerksamkeit zu erringen, während sich dürre Jungen bemühen, etwas aus meinem Rucksack zu ziehen, irgendetwas, das sich daraus lösen lässt. Ich nehme das Messer in die Hand, und die Kinder laufen davon. Orrin von Pfeil hätte ihnen vielleicht Brot gegeben und beschlossen, diesen Ort zu verändern. Ich gehe einfach hindurch. Später werde ich ihn mir von den

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