König der Dunkelheit: Roman (German Edition)
ließ, als zu riskieren, dass er meine Tarnung ruinierte. Vielleicht sollte ich darauf hinweisen, dass meine Erfahrungen mit Verwandtschaft bisher nicht besonders gut gewesen sind. Ein Vater wie der meine lehrte mich, in solchen Situationen vorsichtig zu sein. Erst wollte ich diese neuen Familienmitglieder in ihrem Element sehen, ohne dass sie wussten, wer ich war und was ich wollte.
Man füge dieser Mischung den Umstand hinzu, dass mein Großvater Onkel Olidan Ankrath angeblich aus tiefstem Herzen hasste, wegen der Art und Weise, wie er die Absolution für den Tod meiner Mutter verkauft hatte – als ob sein Bruder ihn nur belästigt hätte, als er Meuchelmörder ausschickte, um sie zu töten. Ich mag der Sohn meiner Mutter sein, aber in meinen Adern fließt auch reichlich Blut meines Vaters, und angesichts der Geschichten, die mein Großvater wahrscheinlich über mich gehört hatte, wäre es nicht unvernünftig von ihm gewesen, zu glauben, dass ich mehr nach Olidan kam und weniger das Kind seiner geliebten Rowen war.
Ich schwitzte, als ich schließlich die Burg erreichte, doch oben empfing die Klippe eine Brise vom Meer, und von ihr ließ ich mich kühlen. Dann trat ich zum Tor. Doppeltes Fallgatter,
gut gearbeitete Zinnen über dem Wachhaus, Pfeilschlitze dort, wo sie einen Sinn ergaben … Keine schlechte Burg. Der kleinste von drei Wächtern versperrte mir den Weg.
»Ich suche Arbeit«, sagte ich.
»Hier gibt es nichts für dich, Sohn.« Er fragte nicht, welche Art von Arbeit ich suchte. Ich hatte ein großes Schwert an meinem Gürtel, ein heißer Brustharnisch verbrannte fast das Leder darunter, und an der Hüfte hing ein Helm.
»Wie wäre es dann mit ein bisschen Wasser? Ich habe vom Strand bis hierher geschwitzt. Es war eine durstige Meile.«
Der Wächter deutete auf einen für Pferde bestimmten steinernen Trog am Wegesrand.
»Hmm.« Das Wasser sah nur wenig besser aus als die Brühe in den Cantanlona-Sümpfen.
»Mach dich besser wieder auf den Weg, Sohn«, sagte der Wächter. »Es ist auch eine durstige Meile zurück nach Arrapa.«
Der Mann wurde mir allmählich unsympathisch. Ich nannte ihn »Sunny« wegen seines sonnigen Gemüts und weil er mir gegenüber Anspruch auf Vaterschaft zu erheben schien. Ich griff unter meinen Brustharnisch und versuchte dabei, einen Kontakt mit dem Metall zu vermeiden, was mir jedoch nicht gelang. Meine Finger fanden die Ecke, nach der sie suchten, und zogen einen versiegelten Brief hervor, in Leinen gehüllt. »Außerdem habe ich das hier für den Grafen Hansa«, sagte ich und entfaltete die Hülle aus Stoff.
»Ach, ganz plötzlich?« Sunny streckte die Hand danach aus, und ich zog den Brief mit der gleichen Geschwindigkeit zurück, mit der sich seine Hand bewegte. »Lass mich besser mal sehen, Sohn.«
»Sieh dir besser den Namen darauf an, bevor deine schmutzigen Finger Flecken hinterlassen, Vater.« Ich überließ ihm
den Brief und wischte mir mit dem Leinentuch Schweiß von der Stirn.
Sunny hielt den Brief tatsächlich mit einem gewissen Respekt an den Ecken. Zwar wussten wir beide, dass er nicht lesen konnte, aber er zog die Schau recht gut ab und gab vor, die Schrift über dem Wachssiegel zu lesen. »Warte hier«, sagte er und ging zum Hof hinter dem Tor.
Ich schenkte den beiden anderen Wächtern ein Lächeln, suchte mir dann eine schattige Stelle, sank dort auf den Boden und überließ mich den Fliegen. Den Rücken lehnte ich an den Stamm des einen Baums, der den Schatten spendete. Es schien ein Olivenbaum zu sein. Einen solchen Baum hatte ich noch nie gesehen, aber ich kannte seine Früchte, und entsprechende Steine lagen verstreut auf dem Boden. Offenbar war er recht alt. Vielleicht sogar älter als die Burg.
Es dauerte fast eine Stunde, bis Sunny zurückkehrte, lange genug, um den Pferdetrog verlockend aussehen zu lassen. Er brachte zwei Hauswächter mit, die bessere Uniformen trugen, mit Kettenhemden anstelle des Leders der Mauerwächter, die die Hitze ertragen mussten.
»Geh mit ihnen«, sagte Sunny. Vermutlich hätte er den Sold eines Tages dafür gegeben, mich zurückschicken zu können, und den eines weiteren Tages für die Möglichkeit, mich mit einem Tritt zu verabschieden.
Auf dem Hof spritzte das Wasser eines marmornen Springbrunnens. Es kam aus vielen kleinen Löchern im Mund eines Fisches und sammelte sich in einem großen runden Becken. In den Büchern meines Vaters hatte ich Bilder von Springbrunnen gesehen und erinnerte mich an den
Weitere Kostenlose Bücher