König der Dunkelheit: Roman (German Edition)
zu sein.
Der Hundertkrieg, so müsst ihr wissen, ist ein Spiel. Um es zu gewinnen, muss man seine Figuren richtig setzen. Das Geheimnis besteht in dem Wissen, dass es nur ein Spiel ist und dass die einzigen Spielregeln die eigenen sind. Ohne das Erinnerungskästchen hatte ich alle meine Pläne im Kopf. Der Trick bestand darin, nicht an sie zu denken, Sageous keinen Anhaltspunkt zu bieten. Ein Fehler, und das Spiel war aus.
Während die Pagen Riemen festzurrten und schwitzten, hielt ich mir den Seh-Ring der Erbauer vors Auge. Für einen Moment sah ich Miana durch ihn, auf der anderen Seite des Raums, und überlegte, ob ihre Hand durch den Ring passte, ob sie ihn vielleicht als Armreif tragen konnte. Dann formte
sich ein Bild und zeigte mir die ganze Welt als ein Juwel in Blau und Weiß. Eine Leinwand, auf der selbst das ganze Reich nicht besonders beeindruckend ausgesehen hätte.
Eine kleine Bewegung mit dem Zeigefinger am gezahnten Rand des Rings, und mein Blickwinkel fiel zur Erde, schneller als ein Pfeil. Sogar schneller als eine Kugel. O ja, ich weiß von solchen Kugeln.
Das Bild verschwamm für die Dauer eines Herzschlags, für zwei oder auch drei, präsentierte dann wieder Einzelheiten. Wie gewaltig das weit über uns hängende Teleskop auch sein mochte, mehr konnte es mir nicht bieten: ein mehrere Meilen durchmessendes Bild, in dem die Umrisse der Spukburg zu sehen waren, Einzelheiten aber verborgen blieben. Die Hauptmasse des fürstlichen Heeres bildete einen dunklen Fleck am Berghang. Ich sah die Konturen der Belagerungsmaschinen, die Soldaten bei ihnen nicht größer als Staubkörner. Erneut bewegte ich den Zeigefinger, und das Innere des Rings wurde schwarz. Ich zählte das Flackern: Das Bild sprang durch vier leere Stellen dort, wo frühere Augen der Erbauer blind geworden waren. Und dann, mit meinem Zeigefinger auf dem letzten Höcker am Rand, sah ich eine neue Szene. Ich konnte das Heer und die qualmenden Reste meiner Mauern so beobachten, als stünde ich auf einem nahen Berggipfel. Indem ich über das Metall des Rings strich und gleichzeitig den Zeigefinger ein ganz kleines bisschen nach vorn bewegte, brachte ich die Szene näher heran, mit dem Bereich des Rigden-Felsens in der Mitte.
An den meisten Orten kann der Erbauer-Ring nicht besser sehen als aus der eben beschriebenen, viele Meilen hohen Vogelperspektive, aber bei vielleicht einem von fünf Orten gibt es andere Augen, die ihm zur Verfügung stehen. Mit langsamem Ausprobieren hatte ich schließlich das Auge gefunden,
das ich nun nutzte. Es befindet sich auf einem hohen Kamm in den Matteracks und bleibt vollkommen verborgen, wenn es nicht benutzt wird. Wenn ich es rufe, kommt hinter einer schwarzen Metalltür, eingelassen im natürlichen Felsgestein, eine glänzende Metallstange zum Vorschein und hebt eine schwarze Kristallkuppel nach oben. Ich habe unter dieser Kuppel gestanden und ein leises Summen und Surren gehört, als ich die Sicht des Rings veränderte. Ein mechanisches Auge muss darin sitzen und auf meine Wünsche reagieren. Ich habe es so zurückgelassen, wie ich es vorfand. Diese Augen in den Gewölben des Himmels und hier unten bei uns, tief im Fels verborgen, sind das Werk von Genialität. Trotzdem frage ich mich, wieso ein Volk überall und jederzeit beobachtet werden wollte. Vielleicht war es das, was die Erbauer in den Wahnsinn trieb. Ich möchte nicht auf Schritt und Tritt Blicke auf mir haben; ich würde solche Augen blenden.
Fexler Brews verlor den Verstand. Vierzehn Jahre, nachdem sein Echo eingefangen und in der Maschine festgehalten wurde, nahm er eine Waffe und erschoss sich. Einen 45er Colt nahm er, so nennt man diese Waffe, obwohl sie mehr wie ein Pferd aussieht als die Pferdeküste. Ich habe Fexler gefunden, aber es war nicht leicht. Während der langen Rückkehr zum Hochland von Renar habe ich ihn gefunden, obwohl es mich Mühen und Leben kostete. Leben, an denen mir etwas lag. Was selten genug ist. Fexler hat sich eine Kugel durch den Kopf gejagt, aber die Maschine ließ ihn trotzdem nicht los. Sie hielt ihn zwischen Bruchteilen einer Sekunde gefangen. Ich schob den Gedanken beiseite, das Bild der Waffe in der erstarrten Hand, die bei der Austrittswunde reglos in der Luft hängenden Blutstropfen. Ich vergaß die Stasiskammer … bevor Sageous sie in meiner Erinnerung sah.
Es heißt, Gott beobachtet uns in jedem Moment. Aber ich glaube, in manchen Momenten, wenn gewisse Taten vollbracht werden, wendet er den Kopf
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