König der Dunkelheit: Roman (German Edition)
mit breiter Brust und dicken Gliedmaßen. Bruder Grumlow
schneidet Maical das Haar, kurz an den Seiten und hinten
lang, und rasiert ihn auch, auf dass Kinn und Wangen immer
glatt sind. Wenn einem niemand sagt, dass Bruder Maicals
Gedanken in einem leeren Kopf klappern, könnte man ihn für
einen ebensolchen Schurken halten wie die anderen Brüder. Im
Kampf jedoch werden seine Hände klug, und er erscheint heil
und helle, bis das Getöse nachlässt, die Sterbenden fallen und
Maical weinend übers Schlachtfeld wankt.
9
Vier Jahre zuvor
Das Hochland hat Tiefland, wenn auch nur ein bisschen, und das wenige ist voller Steine und bekommt noch mehr von ihnen, wenn man den Boden bestellt. In meinen drei Monaten als König war ich in den Bergen geblieben. Erst jetzt, als mich die Straße nach Norden führte, nach Heimrift, entdeckte ich den Rand meines Königreichs, wo es Ankrath und die Ken-Sümpfe berührte.
Wir ließen das niedergebrannte Gehöft hinter uns, und mit ihm Marten und Sara, deren Namen diesmal in meiner Erinnerung verharrten. Hinter uns blieb auch das tote Mädchen namens Janey, dessen Leben in einer Nacht kurz vor dem Frühling zu Ende gegangen war. Wir blieben im Grenzland, wo Straßenbrüder am liebsten unterwegs sind und es nicht an guten Gelegenheiten mangelt. Je weiter eine Schurkengruppe ins Innere eines Königreichs vorstoßen kann, ohne auf ernsthaften Widerstand zu treffen, desto weicher ist das Reich. Thurtan war am Rand immer weich gewesen, und die Ken-Sümpfe noch weicher. Ankrath, so sagten wir, war hart. So hart, dass man sich die Zähne daran ausbrach.
»Warum haben wir angehalten?«, wollte Makin wissen.
Vor uns gabelte sich die Straße. Eine nicht auf der Karte verzeichnete Abzweigung führte durch trostloses Hügelland dorthin, wo Ankrath auf die Sümpfe traf, und die Sümpfe aufs Hochland. Der Wind strich über das hohe Gras, ließ es wogen. An einer Stelle, an der sich drei Länder treffen, wird alles gut gedeihen, denn Blut ist ein ausgezeichneter Dünger.
»Wir haben zwei Möglichkeiten. Nimm den Weg, der nicht nach Ankrath führt«, sagte Makin.
Ich schloss die Augen. »Hörst du das?«
»Was?«
»Hör genau hin«, sagte ich.
»Worauf soll ich achten?« Makin neigte den Kopf. »Vögel?«
»Bemüh dich etwas mehr.«
»Mücken?«, fragte Makin, und erste Falten bildeten sich in seiner Stirn.
»Gog hört es«, sagte ich. »Nicht wahr, Junge?«
Ich fühlte, wie er sich hinter mir bewegte. »Eine Glocke?«
»Die Glocke von Jessop, wohin die Gezeiten des Sumpfes die Toten tragen. Sie hat eine Stimme so tief, dass sie durch die Sümpfe kriecht, Meile für Meile«, sagte ich.
Jene Glocke hatte mich schon einmal nach Hause gerufen. Sie hatte mich von meinem neuen Bruder wissen lassen, als er noch im Bauch einer Fremden steckte, als er Stück für Stück zusammengesetzt wurde, unter Gewändern, wie sie einer Königin angemessen waren. Unter Seide und Spitze. Und jetzt erinnerte sie mich an die Worte des Fürsten von Pfeil. An Worte, die mir sein Schwert fast aus dem Kopf geschlagen hatte. Sie erinnerte mich daran, dass mein kleiner Bruder herausgekommen war, um zu spielen, und mit dem Wiegenspielzeug, das ihm mein Vater gegeben hatte, erhob er Anspruch auf mein Erbe.
»Wir nehmen diesen Weg«, sagte ich und wandte mich dem härteren zu.
»Nach Heimrift geht es dort entlang«, sagte Makin und zeigte in die entsprechende Richtung. »Ich widerspreche nicht. Ich möchte nur vermeiden, dass später jemand behauptet, ich hätte nicht darauf hingewiesen, wenn wir alle auf dem Boden liegen und verbluten.«
Er widersprach doch, aber durchaus zu Recht, und ich hinderte ihn nicht daran.
Wir ritten etwa eine Stunde und ließen die Sümpfe hinter uns zurück. Der Frühling eilt durch Ankrath, bevor er damit beginnt, die Hänge des Hochlands zu erklimmen. Wir erreichten Waldland, mit Blättern, die sich an jedem Zweig entfalteten, als hätte der Frühling sie mit einem Schlag seines grünen Hammers aus dem Holz geholt. Ich führte die Brüder von der Straße, und wir folgten dem Verlauf von Pfaden durch den Wald. Wenn man niemandem begegnen möchte, sollte man einen Waldpfad nehmen, insbesondere in Ankrath, seit ich meinem Vater die Waldwache gestohlen hatte.
Die Wärme des Frühlings, das saftige Grün neuer Blätter, der Gesang von Drossel und Lerche, die Üppigkeit des Waldes atmete ein und langsam aus … Ankrath hat einen Reiz, der im Hochland von Renar unbekannt ist,
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