König der Dunkelheit: Roman (German Edition)
hatte Maical als kleines Kind einen Schlag an den Kopf erhalten, dessen Echo durch sein ganzes Leben hallte.
»Ich möchte Davie.« Das Mädchen rührte sich nicht. Nur die Lippen bewegten sich. Und die Augen.
»Was möchtest du einmal sein? Oder tun?« Ich dachte an meine Kindheit. Ich wollte der Tod mit Flügeln sein. Ich wollte die Welt aufbrechen, bis sie hergab, was mir gehörte.
»Eine Prinzessin«, sagte Janey. Sie zögerte. »Oder eine Meerjungfrau.«
»Ich erzähle ihr Geschichten, Herr«, sagte die Mutter. Es steckte noch immer Furcht in ihr, selbst jetzt, am Rand der
Verzweiflung. Ich fragte mich, warum sie sich vor mir fürchten sollte. Was hätte ich ihr nehmen können? »Meine Großmutter konnte lesen«, fügte sie hinzu. »Und unsere Familie hat die Geschichten bewahrt.« Sie strich über Janeys Haar. »Ich erzähle sie, wenn der Schmerz kommt. Um sie davon abzulenken, ihren Kopf mit Unsinn zu füllen. Sie weiß nicht einmal genau, was eine Meerjungfrau ist.«
Ich biss mir auf die Zunge. Drei unmöglich zu erfüllende Wünsche in ebenso vielen Momenten. Ich hatte daran gedacht, König zu sein. Ich hatte mir die Krone und den Thron vorgestellt, meine Heere, Gold und Festungen.
Janey möchte ihren Bruder. Und sie möchte Prinzessin sein, oder eine Meerjungfrau. Der Schmutz wird sie fressen, in den Armen ihrer Mutter weinend, er wird sie in ein kaltes Loch im Boden legen. Und all die Pferde und Soldaten des Königs können nichts daran ändern.
Ich berührte sie, die kleine Janey, ganz vorsichtig an der Stirn. Es steckte bereits genug Tod in ihr, ohne dass ich ihr mehr davon gab. Aber ich berührte sie, mit meinen Fingern, und fühlte ihn in ihr, wie er das Mark ihrer Knochen fraß. Die Krankheit in Janey rief zu der Nekromantie in mir, schuf eine Verbindung. Ich fühlte ihren Herzschlag, ein Zucken unter meinem eigenen.
»Fürs Reiten bereit, Jorg?«
»Ja.« Ich schwang mich in Braths Sattel.
Wir ritten langsam los.
»Ist noch etwas vom Nelkenwurz übrig, Bruder Jorg?«, fragte Makin.
»Offenbar habe ich alles geschluckt, wegen der Schmerzen«, erwiderte ich und klopfte auf den Beutel an meinem Gürtel.
Makin rollte mit den Augen und blickte zum niedergebrannten Gehöft zurück. »Beim blutenden Christus, es war genug für …«
Er unterbrach sich, als in der Ferne das Rasseln von Becken zu hören war, außerdem das Surren von Zahnrädern, das Stampfen von Füßen. Und das Lachen eines Kindes.
»Hast du sonst noch etwas zurückgelassen, Jorg?«, fragte Makin.
»Der Rote Kent hatte recht«, sagte ich. »Das Ding war verflucht. Steckte voller Unheil. Besser, es trifft einen der Bauern, nicht wahr?«
In der Ebene kann einem der Wind Tränen in die Augen treiben.
Rike zog die Zügel und wollte kehrtmachen.
»Nein«, sagte ich.
Er blieb bei uns.
Schlaf kam spät in jener Nacht. Vielleicht vermisste ich ein weiches Bett nach den bequemen Monaten in der Burg. Der Schlaf kam spät, und als er mich erreichte, brachte er finstere Träume.
Ich lag in einem dunklem Zimmer, in dem es nach Kotze und Tieren stank, sah nur das Glitzern in den Augen eines Kindes und hörte nichts als das leise Tick-tick-tick der Uhr an meinem Handgelenk, untermalt von einem rasselnden Atmen, heiß, trocken und schnell.
Lange Zeit lag ich da, begleitet vom Ticken und Rasseln und dem Glitzern in den Augen des Mädchens.
Wir lagen da, und ein warmer Fluss trug uns mit dem Geruch von Nelken.
Tick, rassel, tick, rassel. Tick, rassel.
Und dann erwachte ich plötzlich und schnappte nach Luft.
»Was ist?«, brummte jemand, vielleicht Kent unter seiner Decke.
»Nichts«, sagte ich. Der Traum klebte noch an mir. »Ich dachte, meine Uhr wäre stehengeblieben.«
Aber es war nicht die Uhr.
Im Morgengrauen erhob sich Makin neben mir, gähnte, spuckte und rieb sich den Nacken. »Himmel, ich bin ganz wund.« Er blickte verschlafen in meine Richtung. »Nichts, das ein bisschen Nelkenwurz nicht in Ordnung bringen könnte.«
»Das Mädchen ist in der vergangenen Nacht gestorben«, sagte ich. »Es war ein leichter, kein schwerer Tod.«
Makin schürzte die dicken Lippen und ließ es dabei bewenden. Vielleicht dachte er an seine eigene Tochter, die er vor Jahren verloren hatte. Er fragte nicht einmal, woher ich es wusste.
Die Jahre scheinen für Bruder Maical überhaupt keine Rolle zu
spielen, als ob ihn seine Unfähigkeit, sie zu zählen, vor ihnen
schützt. Er beobachtet die Welt durch ruhige graue Augen,
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