König der Dunkelheit: Roman (German Edition)
verfehlt mein Gesicht, trifft aber mein Haar und
befeuchtet das Ohr. »Und ich habe mich von ihr befreit. Mit einer bitteren Pille und einer brennenden Paste.«
Sie lächelt, und jetzt erkenne ich den Hass. Sie sieht mich deutlich, hält den Kopf gesenkt, das Haar umrahmt ihre dunklen Augen. Sie zeigt die Zähne und fordert mich heraus.
Ich erinnere mich daran, wie sie dalag, im saphirblauen Tümpel ihres Gewands. Ohnmächtig. Die Stimme der Dornen – vielleicht meine, vielleicht Corions, oder eine Mischung aus beidem – forderte mich auf, sie zu töten. Mein Vater wäre diesem Rat gefolgt. Immer ganz hart, nie Schwäche zeigen. Das Verlangen macht Männer zu Narren. Aber ich habe sie nicht getötet. Die Stimme lud mich auch dazu ein, sie zu vergewaltigen. Sie einfach zu nehmen. Aber ich habe nur ihr Haar berührt. Was ich wollte, konnte ich mir nicht einfach nehmen.
»Hast du nichts zu sagen, Jorg?« Sie spuckt erneut, und diesmal trifft sie mein Gesicht. Ich blinzele. Warmer Speichel kühlt meine Wange. Katherine will, dass ich zornig werde. Es ist ihr gleich, was ich tun könnte. »Ich habe dein Kind aus mir herausgeblutet. Es war ein Junge, so groß, dass er schon sehen konnte.«
Und ich weiß nicht, was ich sagen soll. Was könnten Worte bewirken? Ich würde mir selbst nicht glauben. Ich muss meinen Erinnerungen vertrauen – in der Vergangenheit hat man ihnen das eine oder andere genommen, aber nie etwas hinzugefügt –, aber wer sonst würde Jorg von Ankrath einen Vertrauensbonus geben? Ich nicht.
Ich drehe Katherine die Arme auf den Rücken und führe sie über den Friedhof, in die Richtung, aus der ich gekommen bin. Weiße Abdrücke zeigen sich dort, wo meine Finger ihre Haut berührten. Habe ich so fest zugegriffen? In meiner Vorstellung habe ich sie oft berührt, aber dies fühlt sich an, als hätte ich
etwas Kostbares zerbrochen und als trüge ich die einzelnen Stücke in dem Wissen, dass sie nicht wieder zusammengesetzt werden können.
»Willst du es noch einmal tun?« Der Zorn ist aus ihr verschwunden. Sie klingt verwirrt.
»Nein«, sage ich.
Wir gehen weiter. Brombeergestrüpp verfängt sich an ihrer Kleidung. Die Absätze der Reitstiefel hinterlassen tiefe Abdrücke, eine Spur, der selbst ein Blinder folgen könnte. »Ich habe mein Pferd angebunden zurückgelassen«, sagt sie. Dies ist nicht die Katherine, die ich an jenem Tag auf dem Boden zurückgelassen habe. Jene Katherine war scharfsinnig und clever; diese ist benommen, als wachte sie gerade auf.
»Ich werde den Fürsten von Pfeil heiraten«, sagt sie und dreht den Kopf, um einen Blick über die Schulter zu werfen.
»Ich dachte, du wolltest keine Trophäe sein«, erwidere ich.
Sie wendet den Blick ab. »Wir können nicht immer bekommen, was wir wollen.«
Ich brauche sie und frage mich, ob ich bekommen kann, was ich benötige.
Wir gehen schweigend, bis vor uns der Rote Kent aus dem Dickicht tritt. Er trägt mein Schwert über der Schulter. »König Jorg.« Er nickt. »Mylady.«
»Bring sie zu Sir Makin«, sage ich und lasse Katherine los.
Kent bedeutet ihr, über den Weg zu gehen, den er bewacht hat. »Ihr soll nichts geschehen, Kent. Behalte vor allem Row und Rike im Auge. Sag ihnen, dass du meine Erlaubnis hast, ihnen die Körperteile abzuschneiden, die sie berühren. Und verlegt das Lager. Wir haben eine Spur von hier nach dort hinterlassen.« Ich gehe fort.
»Wohin willst du?«, fragt Katherine.
Ich bleibe stehen, drehe mich um und wische mir ihre Spucke von der Wange. »Wer hat dich gefunden?«
»Was?«
»Wer hat dich gefunden, nachdem ich dich geschlagen habe?«, frage ich. »Ein Mann befand sich in der Nähe, als du wieder zu dir kamst.«
Sie runzelt die Stirn. Ihre Finger berühren die Stelle, an der die Vase zerbrach. »Friar Glen.« Zum ersten Mal sieht sie mich mit ihren alten Augen, klar, grün und scharf. »Oh.«
Ich gehe fort.
Schnick , und einen Herzschlag später schnappt der Deckel wieder zu. Geschlossen ruht das kupferne Kästchen zwischen meinen tauben Fingern.
Wieder der Berghang, knietiefer Schnee. Mein Schienbein schmerzt. Ich bin über einen Spaten gestolpert.
Es gibt Männer, die zum Berg gehen, und es gibt andere
Männer, die der Berg sind. Ich mag Gorgoth nicht Bruder
nennen, aber er wurde aus den Eigenschaften geschmiedet,
die mir fehlen.
28
Vier Jahre zuvor
In der Bibliothek meines Vaters gibt es Bücher, die behaupten, dass es vor den Tausend Sonnen keine Lava spuckenden Berge
Weitere Kostenlose Bücher