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König der Seelen (Höllenfeuer) (German Edition)

König der Seelen (Höllenfeuer) (German Edition)

Titel: König der Seelen (Höllenfeuer) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Conrad
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denkst du? Wenn du diese beiden hier schützen willst, solltest du ihnen sagen, was es mit Asasel auf sich hat. Seinen Feind sollte man kennen, sonst hat man schon verloren.“
    Einen Augenblick lang zögerte Raphael, schließlich nickte er schweren Herzens. Eleanor glaubte ihn noch nie so verletzlich gesehen zu haben. Er wirkte wie jemand, der in diesem Moment alles dafür gegeben hätte, sich nicht an das erinnern zu müssen, was vor zweitausend Jahren geschehen war…
     
    …
     
    Golgotha war wie leergefegt. Sonst war es durchaus üblich, dass bei Kreuzigungen die Menschen zu Hunderten, manchmal gar zu Tausenden hierherkamen, um den Tod von Straftätern zu erleben. Erst vergangenen Monat hatte man auf diese Weise einen Mörder hingerichtet und das öffentliche Interesse an diesem Fall war so groß gewesen, dass die halbe Stadt auf den Beinen gewesen war, um sich dieses Schauspiel nicht entgehen zu lassen.
    Heute aber waren nur wenige gekommen. Drei Kreuze standen dort oben auf der Kuppe des Hügels. Zwei Verbrecher und ein Prophet.
    Doch die meisten waren zu Hause geblieben. Nicht aus Angst vor der Rache des Propheten oder gar Gottes, sondern aus Angst vor den Römern. Dies war keine Hinrichtung, hinter der ein Verbrechen gestanden hätte – für die beiden Kriminellen an Jeshuas Seite interessierte sich heute niemand – sondern eine Hinrichtung mit politischem Hintergrund. Die Menschen verbargen sich ängstlich daheim, weil mit Unruhen zu rechnen war. Und den Zorn der Römer zu erregen war in diesen Tagen nicht angebracht. Zu leicht konnte es geschehen, dass man an der Seite der Drei auf dem Golgotha ans Kreuz genagelt wurde. Ein Risiko, das niemand leichtfertig einzugehen bereit war.
    So kam es, dass nur wenige Unerschrockene den Weg hierher gewagt hatten. Eine Handvoll Frauen und vielleicht ebenso viele Männer beobachteten die Hinrichtung aus sicherer Distanz. Sie blieben ganz still, die sonst so üblichen Schmähungen der Hingerichteten waren heute von niemandem zu hören. Die einzigen Geräusche gingen von den römischen Legionären aus, die am Fuße der drei Kreuze um die Kleidung der Gekreuzigten würfelten.
    Auch Longinus war unter ihnen. Er achtete nicht auf den Mann, der da über ihm hing. In seinen Augen war dort nur ein weiterer Krimineller, den sein gerechtes Schicksal ereilt hatte. So erging es eben jenen, die sich gegen den römischen Kaiser erhoben hatten. Daran war nichts Falsches, ganz im Gegenteil. Allein die römische Justiz machte diese Welt zu einem lebenswerten Ort. Einem Ort, an dem es Gerechtigkeit gab und die Strafe auf dem Fuße folgte. Longinus liebte das römische Reich dafür. Es war einfach und effizient – ebenso wie er.
    Longinus blickte noch einmal kurz auf, bevor er wieder mit Würfeln an der Reihe war. Noch immer war alles ruhig auf Golgotha. Über ihm stöhnten leise die Gekreuzigten, aber die wenigen Menschen am Fuße des Hügels waren ungefährlich und würden keinen Ärger machen. Dass der Hügel in Wirklichkeit voll unsichtbarer Wesen war und Tausende von Augen auf diesem Ort ruhten, nahm er nicht wahr.
    „Dies also ist das Ende Jeshuas“, sagte Samael bedächtig. Inmitten unzähliger Engel stand er auf Golgotha und blickte zu dem mittleren der drei Kreuze empor. Niemand konnte sie sehen. Niemand, bis auf Jeshua. Vielleicht würde ihr Anblick ihm zumindest ein kleiner Trost sein. Er würde nicht allein sein, wenn seine Seele sich von seinem Körper löste. Samael wunderte sich über sich selbst. Er konnte es nicht erklären, doch das Leiden und der Tod Jeshuas gingen ihm nahe. Einen Moment lang hatte er tatsächlich darüber nachgedacht, Jeshua eigenhändig von dort herunterzuholen. Doch er wusste, dass dies nicht Jeshuas Willen entsprochen hätte. Jeshua hatte gewusst, dass es so weit kommen würde. Er hätte aus Jerusalem fliehen können. Er hätte die Vorwürfe gegen sich abstreiten können. Selbst jetzt noch zweifelte Samael nicht daran, dass er vom Kreuz hätte herabkommen können, wenn er es gewollt hätte. Doch Jeshua tat es nicht. Er blieb dort oben hängen und akzeptierte einfach, dass dies sein Ende sein würde.
    „Wer sagt dir, dass dies das Ende Jeshuas ist?“, fragte Raphael an seiner Seite. Samael sah ihn überrascht an. Er hatte nie viel mit Raphael zu tun gehabt, denn dieser weigerte sich, die Menschen ihrem Auftrag gemäß zu verführen und zur Sünde zu verleiten. Stattdessen war er in Lethargie versunken und trieb sich an merkwürdigen, einsamen

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