König der Seelen (Höllenfeuer) (German Edition)
Ablauf der von Lilith gesetzten Frist würde es unweigerlich so weit sein.
In diesem Augenblick kam von rechts Schwester Emily den Gartenweg entlang. Sie trug eine große Gießkanne bei sich und hatte offensichtlich vor, die Blumen in den Beeten vor dem Gebäude zu wässern. Schon war sie auf Liliths Höhe und ging nur wenige Meter an ihr vorbei.
Raphael und Eleanor hielten unwillkürlich den Atem an. Lilith musste nur den Arm ausstrecken und Schwester Emily wäre des Todes.
‚Sie wird es tun.‘, durchzuckte es Raphael. ‚Sie wird es ganz allein deshalb tun, weil sie mich daran erinnern will, dass Eleanors Wohl allein in ihrer Hand liegt. Dass ich sie nicht werde schützen können, wenn sie tatsächlich beschließen sollte, Eleanor zu töten…‘
‚Gehen sie dort weg, Schwester Emily !‘, dachte Eleanor voll Angst. ‚Gehen sie um Himmels Willen schnell weg. Sie müssen doch spüren, dass dieser Ort gefährlich für sie ist…‘
Schwester Emily hielt inne. Langsam hob sie den Kopf und blickte sich um. Ganz offensichtlich fühlte sie, dass fremde Blicke auf ihr ruhten. Doch hinter ihr, an der Stelle an der Lilith stand, sah sie nichts. Verwirrt sah sie sich weiter um, dann blickte sie hinauf und erkannte Raphael und Eleanor hinter dem Fenster. Sie schien durchzuatmen, winkte kurz und packte dann ihre Gießkanne, um zu gehen. Kurz darauf war sie schon hinter der Hausecke verschwunden.
Die ganze Zeit über hatte Lilith sich nicht von der Stelle gerührt. Dennoch konnte es keinen Zweifel daran geben, dass sie Raphaels und Eleanors Gedanken erraten hatte, denn ihr Gesicht verzog sich zu einem höhnischen Lächeln.
Ein letztes Mal sah sie Raphael direkt in die Augen. Dann erhob sie sich und flog davon.
Eleanor blickte ihren Freund verwirrt an. „Was war das gerade?“, fragte sie.
Raphael biss die Zähne zusammen und starrte düster vor sich hin. „Ich weiß es nicht“, stieß er mühsam hervor und mit diesen vier Worten war zum ersten Mal eine Lüge über seine Lippen gekommen.
Ruhelos humpelte Asasel in seinem Versteck auf und ab. Er war heute so unruhig, dass er mehrfach seine Fäuste in die umliegenden Wände donnern ließ. Der schwarze Granit zersplitterte mit lautem Knall, winzigste Splitter wirbelten durch den Raum und der Staub tanzte durch das Fackellicht.
Seit fast tausend Jahren war er hier sicher gewesen, unantastbar und gut versteckt. Niemand wusste, dass es tief unter der Krypta der uralten Wehrkirche von Stratton eine weitere Krypta gab. Sie stammte aus vornormannischer Zeit, aus den Tagen des sächsischen Königreichs. Jene erste Kirche war im Jahre 1066 zerstört worden, als die Horden Wilhelms des Eroberers raubend, mordend und brandschatzend durch das Land gezogen waren und die Sachsen versklavten, wo immer sie sie fanden. Die Einwohner Strattons hatten sich in ihrer Kirche verschanzt, doch der normannische Heerführer hatte sie kurzerhand in Brand setzen lassen. Mehr als vierhundert Menschen hatten an diesem Tag den Tod in ihrer Kirche gefunden.
Zwanzig Jahre waren danach vergangen. Zwanzig Jahre, in denen ein neuer Ritter als Herr von Stratton die Einwohner regiert und unterdrückt hatte. Ein normannischer Ritter, seinem König treu ergeben und dadurch zugleich ein Feind aller Sachsen. Es war sein Sohn gewesen, der schließlich eine neue Kirche an der Stelle der alten errichten ließ. Dieser verpflichtete dafür einen sächsischen Baumeister aus dem nahegelegenen Bude, der die alte Kirche von Bude gekannt hatte. Noch immer war die Wut der sächsischen Bevölkerung auf ihre normannischen Eroberer ungebrochen und noch immer träumte man in den kleinen Katen, den Dörfern und Weilern von einer Rebellion, die das normannische Pack aus dem Land treiben und die Menschen endlich befreien würde. So kam es, dass der Baumeister der neuen Kirche einen verwegenen Plan ersann, um diese Rebellion eines Tages unterstützen zu können. Er wusste von der tiefgelegenen, alten Krypta unter der Kirche von Stratton. Eines Nachts schlich er sich in die Ruinen der Kirche und fand die geheime Krypta unbeschädigt vor. Er erzählte niemandem von seiner Entdeckung, doch er stimmte seinen neuen Bauplan auf seine Entdeckung ab. Er legte für das neue Bauwerk eine höher gelegene Krypta an und er wählte zwei vertrauenswürdige Steinmetze aus, die er in seinen geheimen Plan einweihte. Diese zwei Männer gruben des Nachts einen Verbindungsgang von der neuen Krypta hinunter in die alten, verschütteten
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