König der Seelen (Höllenfeuer) (German Edition)
dass du es meinetwegen machst. Glaub mir, ich hatte nicht vor, dich zu kränken.“
Einen Moment lang blickte Raphael sie ernst an. Dann erwiderte er den Druck ihrer Hand. „Verzeih mir, Eleanor. Es ist tatsächlich nicht einfach für mich. Ihr Menschen seid in so vielen Dingen so anders als ich. Und es ist… eine Herausforderung für mich, nicht ich selbst sein zu können.“
„Eine Herausforderung, ja?“, erwiderte Eleanor mit einem bitteren Ton in der Stimme. „Glaub mir, Raphael. In der Welt der Menschen ist es normal, nicht als der zu erscheinen, der man wirklich ist. Dieses Schicksal teilst du mit allen Menschen. Nur die Toten müssen keine Maske tragen, so viel habe ich durch dich gelernt.“
Raphael blickte sie wortlos an. Dann nickte er ernst.
„Ihr zwei macht mir aber wirklich einen finsteren Eindruck“, erklang in diesem Augenblick eine Stimme.
Eleanor fuhr herum. „Bess!“, rief sie erfreut. „So früh bist du schon hier?“
Bess trat fröhlich lächelnd auf die beiden zu, griff sich einen dritten Stuhl von einem der Nachbartische und setzte sich dazu. Raphael schenkte sie ein zuckersüßes Lächeln, das dieser irritiert zur Kenntnis nahm. Dann wandte sie sich wieder ihrer Freundin Eleanor zu.
„Die Schulferien gehen erst in einer Woche zu Ende“, sagte sie. „Also dachte ich mir, dass ich heute mit Mom hierher kommen könnte. Habt ihr schon etwas vor?“
Eleanor und Raphael schüttelten die Köpfe. Bess klatschte vor Begeisterung in die Hände.
„Prima! Irgendwelche Vorschläge?“
Nur eine Viertelstunde später saßen die drei in einem Bus in Richtung Bude. Da weder Eleanor noch Raphael einen Vorschlag für ein Ausflugsziel hatten liefern können, wurde schließlich Bess’ Vorschlag angenommen, einen Abstecher nach Bude zu machen.
Während der Bus zwischen Feldern und kleinen Wäldchen die Landstraße entlangfuhr, dachte Eleanor mit Grauen an jenen Ausflug zurück, der sie nach Tintagel und dem Schlachtfeld auf den Klippen geführt hatte. Sie hoffte inständig, dass Bess nicht vorhatte, mit ihr irgendwelche Friedhöfe oder andere potentielle Ballungsgebiete verdammter Seelen zu besuchen. Immerhin konnte sie sich diesmal sicher sein, dass Raphael an ihrer Seite die Augen offenhalten und sie von gefährlichen Orten fernhalten würde. Ihre Gedanken glitten ab und wanderten zu den Geschehnissen der letzten Wochen, während Bess an ihrer Seite unentwegt plapperte und so einen angenehmen Geräuschteppich schuf, der müde machte. Raphael vor ihnen schien bereits eingeschlafen zu sein, denn sein Kopf war auf die Brust gesunken. Schliefen Engel eigentlich, fragte sich Eleanor im Stillen.
In diesem Moment wurde sie selbst durch ein Wort aus ihrer Schläfrigkeit gerissen, das Bess gesagt hatte.
„Was? Was hast du gesagt?“, fragte sie verwirrt.
„Michael“, erwiderte Bess. „Wir werden Michael in Bude treffen. Du hast doch nichts dagegen?“
Eleanor schüttelte den Kopf, wenngleich sie sich keineswegs sicher war, ob sie Michael heute sehen wollte. Gewiss, sie selbst hatte nichts gegen ihn, doch sie wusste nur allzu gut, dass Michael ein Problem mit Raphael hatte. Es lag wenig Angenehmes in der Vorstellung, Michael auf dem Rückweg mit finsterer Miene hinter ihnen sitzen zu sehen.
Eleanor seufzte leise. Bess schien nichts davon mitbekommen zu haben, denn ihr unablässiger Redefluss hatte bereits wieder eingesetzt, als sei nichts gewesen. So fuhren sie die letzten Kilometer bis nach Bude, wo der Busfahrer sie schließlich in der Nähe der Kirche St. Michael and All Angels im Zentrum der Stadt entließ. Bess und Eleanor wankten nach der holprigen Fahrt auf der schlechten Landstraße nach draußen, während Raphael ihnen auf gewohnt sicherem Fuß nachkam. Eleanor sah sich nach ihm um und lächelte unwillkürlich bei seinem Anblick. Der Wind fing sich in seinen schwarzen Locken und zauste sie durcheinander, während sein klarer Blick aufmerksam und alles durchdringend seine Umwelt abtastete. Eleanor war sich sicher, dass ihm nichts entging, was ihr hätte gefährlich werden können. Nie zuvor in ihrem Leben hatte sie sich so behütet und beschützt gefühlt.
In diesem Augenblick jedoch änderte sich Raphaels Miene, sie wechselte von wachsam zu genervt, sofern dies bei einem Engel möglich war. Ein Ruf hallte über den Platz und die drei wandten sich zu der Quelle des Rufes zu. Dort, rund fünfzig Meter von ihnen entfernt, stand Michael und winkte ihnen strahlend zu. Kurz darauf
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