König der Seelen (Höllenfeuer) (German Edition)
unwiderstehlich erscheint, dass sie der Versuchung nachgeben und sich dir zeigen.“
„Ich verstehe. Was hast du ihm…“
„Ah, bist du ja“, erklang in diesem Augenblick eine Stimme hinter den Mädchen.
Eleanor fuhr herum und sah Raphael in der Dunkelheit die letzten Stufen hinunter kommen. In einer einzigen fließenden Bewegung ließ er sich neben Eleanor auf den untersten Stufen des Treppenhauses nieder. Er nickte Elizabeths Schatten steif zu, dann senkte er den Blick. Bei seinem Anblick hielt Eleanor vor Sorge die Luft an. Mit Ausnahme ihrer Begegnung an diesem Morgen hatte sie ihn noch nie so verunsichert und verletzlich erlebt. In diesem Augenblick wirkte er nicht wie jener Engel des Herrn, der keinerlei Ängste kannte und sich um nichts ernsthaft sorgte. In diesem Augenblick wirkte er wie ein Mensch.
„Raphael, was ist mit dir?“, fragte Eleanor besorgt, indem sie ihre Hand sanft auf seinen Arm legte.
Nach einem kurzen Moment hob er den Kopf und blickte sie an. „Es tut mir leid, dass ich heute Morgen so reagiert habe“, sprach er mit seltsam belegter Stimme. „Glaube mir, Eleanor. Ich würde dir gern mehr über Asasel erzählen, doch ich kann es nicht. Es wäre nicht richtig, wenn ich es täte. Aber du sollst wissen, dass es nicht an dir liegt. Asasels Tat war so ungeheuerlich, dass sie nicht allein auf ihn zurückfällt, sondern irgendwie auf uns alle. Sie ist wie eine Erbsünde, ein Schuld, die nie wieder getilgt werden kann und die nun auf ewig an uns hängt. Asasel allein hat sie zu verantworten, doch wir alle haben durch sie zu leiden. Ihr Menschen ebenso wie wir Engel…“
Eleanor stockte der Atem. Sie sah Raphael mit großen Augen zutiefst erschrocken an und war doch unfähig, irgendetwas zu sagen. Schließlich war es Elizabeth, deren Stimme die Stille durchbrach.
„Gibt es keinen Weg, diese Tat ungeschehen zu machen?“, fragte sie. „Lässt sie sich denn nicht irgendwie wiedergutmachen?“
Raphael blickte sie an. „Es ehrt dich, dass du diese Frage stellst, Elizabeth. Aber es gibt Schäden, die nicht zu beheben sind und es gibt Wunden, die nicht heilen können. Asasel hat mit seiner Tat Gottes Schöpfung einen Schlag versetzt, von dem sie sich bis heute nicht erholt hat.“
Verwirrt fiel Eleanor auf, dass Raphael Elizabeth gerade zum ersten Mal bei ihrem Namen genannt hatte.
„Wäre die Hölle tatsächlich in zehn Kreise unterteilt, wie viele Menschen glauben ,“, fuhr Raphael fort. „so stünde Asasel wohl tatsächlich im innersten Kreis. An jenem Ort, an dem die Schuld am heißesten brennt und die Qual am allergrößten ist. Von allen Wesen in dieser Hölle trägt er die größte Last und den monströsesten Hass mit sich herum.“
Eleanor schauderte. Wenn gerade jemand wie Raphael, der so viel erlebt hatte, der so viel wusste und so viele gefallene Engel kannte, so etwas über Asasel sagen konnte, wie verkommen, krank und unrettbar verloren musste dieser dann sein?
Eine Weile sagte keiner der Drei ein Wort. Elizabeths Schatten leuchtete matt in der Dunkelheit und selbst Raphael strahlte ein sanftes Glühen aus, das die Dunkelheit ein wenig vertrieb und diesem finsteren Ort etwas Freundlichkeit und Wärme gab. Schließlich durchdrang ein leises Schluchzen die Stille.
„Einer wie der wird mich nie gehen lassen“, weinte Elizabeth leise. „Sein Hass auf sich selbst und die Welt ist viel zu groß, als das er jemand anderen glücklich sehen kann. Ich werde bis in alle Ewigkeit hier festsitzen.“
Eleanors Herz zog sich zusammen. Sie hätte gern etwas getan oder gesagt, um Elizabeth ihre Angst und Verzweiflung zu nehmen, doch sie wusste nicht, was sie hätte tun können. Sie hatte keinerlei Möglichkeit, ihre Freundin zu trösten. Nicht durch Worte und noch weniger durch Taten. Es war stattdessen Raphael, der aufstand und auf Elizabeths bebenden Schatten zuging. Sehr sanft und vollkommen wortlos nahm er sie in die Arme, und während er eben noch ein namenloser Patient in Stratton Hall gewesen war, erstrahlte er jetzt in dem Licht eines Engels, seine Flügel legten sich behutsam um Elizabeth und hüllten sie gänzlich ein. Er wiegte sie sanft hin und her und in diesem einen Augenblick nahm Elizabeths Schatten Form an. Vor Eleanors Augen erschien die zarte Gestalt eines jungen Mädchens, sie erstrahlte in demselben goldenen Licht wie auch Raphael, glitzerte und leuchtete. Und zum allerersten Mal sah Eleanor ihr Gesicht. Es war ein von Angst gepeinigtes Gesicht mit großen
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