König der Seelen (Höllenfeuer) (German Edition)
erneuten Schauer durchlaufen wurde. Ihre Augen blickten kalt und gierig, wie die Augen eines Mannes, der sich im Krieg mit Gott und der Welt befindet. Und dennoch war sie bemerkenswert attraktiv. Ihre großen, leicht schräggestellten Augen funkelten lebendig und ihr kleiner Mund war voll und anziehend, wenngleich durch den spöttischen Zug um die Mundwinkel etwas Bedrohliches von ihr ausging. Sie hatte etwas Raubtierhaftes an sich, schön und souverän, doch zugleich auch effizient und tödlich.
„Du bist Lilith!“, stellte Raphael nüchtern fest.
Lilith ließ ein glockenhelles Lachen erklingen, warm und angenehm zugleich.
„Da sind wir beide schon seit Tausenden von Jahren auf dieser Welt, und dennoch sind wir uns bis heute nie wirklich begegnet“, stellte sie lächelnd fest, während sie sich langsam auf ihn zu bewegte. Ihre Bewegungen waren elegant und gleitend, wirkten fast wie ein Tanz, doch lag eine Ahnung von Kraft und Schnelligkeit in ihnen, die Raphael unsicher werden ließ. Er war sich vollkommen darüber im Klaren, dass Lilith ihn nie verletzen oder gar töten könnte, doch das Wissen um ihre völlige Unberechenbarkeit machte ihn wachsam und über die Maßen vorsichtig. Wieder erklang ihr helles Lachen.
„Ich kann mir kaum vorstellen, dass du vor mir Angst hast“, sagte sie freundlich. „Wie sollte ich dir Schaden zufügen können?“
„Was willst du von mir?“, fragte Raphael.
„Ich habe merkwürdige Dinge vernommen“, erwiderte Lilith plötzlich mit ernstem Gesichtsausdruck. „Geschichten von einem Mädchen, das die Ordnung der Dinge umgestoßen hat. Ein Mädchen, das ein Drittel der gefallenen Engel hat erlösen können. Du weißt nicht zufällig, wen ich meine?“
Raphael erstarrte. „Rede nicht um die Dinge herum und hör auf, mit mir zu spielen“, fuhr er sie an. „Was genau willst du wissen?“
Langsam trat Lilith näher. Eine Wolke von wohlriechenden Düften wehte zu Raphael hinüber. Stark und betörend, warm und sinnlich.
„Dieses Mädchen interessiert mich. Sie ist anders als alle anderen. Anders als die Menschen, anders als die Engel, selbst anders als ich. Ich wüsste gern, was es ist, das sie von anderen unterscheidet.“
„Es gibt eine ganze Reihe von Engeln, die dir diese Frage beantworten könnten. Selbst Asasel könnte es. Warum kommst du zu mir?“
„Asasel.“ Liliths Mund verzog sich vor Abscheu. „Es schien mir besser, dich zu fragen. Denn nach allem, was ich höre, hast du eine besondere Beziehung zu ihr. Warst du es nicht, der von ihr aus seinem Toten Palast gerissen wurde?“
Zögernd nickte Raphael.
„Und warst du es nicht, der auf einem Konzil der Engel seine Liebe zu ihr bekannt hat?“
Wieder nickte Raphael. Diesmal aber zögernd und unsicher, denn gerade eben war etwas geschehen. Er konnte es noch nicht genau festmachen, noch nicht benennen, doch ganz sicher war gerade irgendetwas in ihm angestoßen worden.
„Sie muss wirklich außergewöhnlich sein, wenn sie Derartiges zu bewirken vermag“, fuhr Lilith in allerfreundlichstem Plauderton fort. „Sie hat nicht nur dich um den Finger wickeln können, sondern zugleich hunderte von Engeln so beeindruckt, dass sie bereit waren, für sie zu sterben. Das hat ihnen schließlich das Tor zum Himmel geöffnet – eine beachtliche Tat. Ich frage mich, wie ihr all dies gelingen konnte.“
„Selbstlosigkeit“, schnitt Raphael ihr vollkommen ruhig das Wort ab.
Lilith sah ihn beinahe verwundert an. Offenbar hatte sie nicht damit gerechnet, von ihm unterbrochen zu werden.
„Selbstlosigkeit…“, fuhr sie bedächtig fort. „Selbstlosigkeit ist ein Gut, das allzu oft nicht erwidert wird. Mancher Mensch ist selbstlos und gerecht und wird dennoch zu Lebzeiten keinen Lohn dafür erhalten. Wie kommt es, dass es bei ihr anders ist?“
„Selbstlosigkeit erwartet keinen Lohn, Lilith. Daran erkennt man sie. Warst du schon einmal selbstlos?“
Mit einem wütenden Funkeln in den Augen trat Lilith einen Schritt von Raphael zurück und starrte ihn zornig an.
„Habe ich dir etwas getan, Raphael, das du so mit mir sprichst?“, zischte sie.
Raphael atmete tief ein. Dann senkte er für einen Moment das Haupt.
„Verzeih, Lilith. Du hast recht“, sagte er. „Ich weiß zu wenig über dich, um so etwas zu sagen.“
Noch immer blickte Lilith ihn böse an. Dann jedoch glätteten sich ihre Züge und wurden wieder weich.
„Denke nicht, dass ich dir oder der Kleinen Leid zufügen will“, sagte sie mit
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