König der Seelen (Höllenfeuer) (German Edition)
Allmächtigkeit. Wenn er hier jemanden im Kerker einfach verrotten ließ, kümmerte es die Behörden nicht, denn die Juden waren keine römischen Bürger. In Italien wäre so etwas undenkbar gewesen. Dort war er einfach ein Günstling des Kaisers – hier in Jerusalem war er ein Gott.
Einige Tage nach ihrem Besuch in Gerasa erreichten Jeshua und seine kleine Reisegruppe ein Dorf am anderen Ufer des Sees von Genezareth. Sie staunten nicht schlecht, als ihnen bereits einige hundert Meter vor dem Ort eine große und aufgeregte Menschenmenge entgegenkam.
„Was mag da los sein?“, fragte Mattai Juda. Dieser zuckte mit den Schultern und blickte ratlos drein.
„Herr, Willkommen, Herr!“, riefen die ersten Dörfler, als sie in Hörweite kamen. Ein Lächeln zog sich über die Gesichter der Jünger. Es war ungewöhnlich, einen so freundlichen Empfang zu erleben, obwohl niemand sie hier kannte. Allein Jeshua blieb ernst und wachsam.
Die Menschen hießen sie willkommen, klopften ihnen auf die Schultern, oder begrüßten sie mit dem Friedenskuss. Einige knieten sogar vor Jeshua nieder und küssten den Saum seines Gewandes. So wurden Jeshua und seine Männer ins Dorf geleitet und endlich erreichten sie den kleinen Dorfplatz.
„Euer Ruhm eilt euch voraus“, sagte gerade einer der Dörfler zu Simeon. „Wir haben von euren Taten im Lande gehört, von den Heilungen und auch von der Dämonenaustreibung drüben in Gerasa. Haben die Dämonen wirklich die ganze Schweineherde in den See getrieben?“
In diesem Augenblick entstand ein Tumult am Rande der Menge und ein älterer Mann drängte sich unter Einsatz seiner ganzen Körperkraft durch die dicht beieinander stehende Menge. Die Menschen fluchten und stolperten auseinander, während er sich hastig freie Bahn schuf.
„Ist er hier?“, rief er ängstlich schon von weitem. „Ist er hier, sagt doch…“
Schließlich durchbrach er den innersten Menschenring um Jeshua und blieb stolpernd vor ihm stehen. Er fiel auf die Knie, faltete die Hände und blickte flehend zu Jeshua empor.
„Herr!“, sprach er. „Ich bin Jaïr, der Synagogenvorsteher des Dorfes. Meine Tochter liegt im Sterben. Bitte hilf ihr! Ich weiß, dass du es kannst. Wenn du nur willst, ist sie geheilt, da bin ich mir sicher!“
Jeshua lächelte zu ihm hinab. Dann reichte er ihm die Hand und zog ihn auf die Beine. Er war gerade im Begriff etwas zu sagen, als ein plötzlicher Ruck durch ihn ging. Sein Blick wurde starr und für einen kurzen Moment versteifte sich sein ganzer Körper. Dann kehrte das Leben wieder in seine Augen zurück. Er ließ Jaïrs Hand los und blickte sich verwirrt um. Noch immer standen die Menschen des Dorfes dicht um ihn herum, einige mit verklärtem Lächeln, andere mit einem Ausdruck purer Neugier im Gesicht.
„Ich bin berührt worden“, sagte Jeshua wie zu sich selbst. „Jemand hat mich berührt, um sich von mir heilen zu lassen. Ich habe es gespürt!“
Jeshuas Jünger blickten sich suchend um, während der Kreis der Menschen seinen Abstand zu Jeshua unwillkürlich vergrößerte. Die Leute raunten einander Unverständliches zu und starrten Jeshua ehrfürchtig an. Dieser sah sich noch immer unschlüssig in der Menge um, Jaïr war zunächst vergessen. Schließlich blieb sein Blick an einer Frau hängen, die gerade eben noch hinter ihm gestanden hatte. Sie war vielleicht Anfang vierzig, einfach und unauffällig gekleidet und sah jetzt beschämt zu Boden, als Jeshuas Blick auf sie fiel. Anders als ihre Nachbarn wirkte sie in diesem Augenblick, als wünschte sie sich weit fort von hier.
„Du hast mich berührt“, stellte Jeshua fest.
Bei diesen Worten fiel die Frau sofort auf die Knie und begann zu weinen. Sie bekam gerade noch ein jämmerliches Nicken zustande, doch sprechen konnte sie vor Aufregung nicht.
„Warum hast du das getan?“, fragte Jeshua sanft. Er legte ihr seine Hand auf die Schulter, dann sank er zu ihr hinab, sodass sie nun beide auf gleicher Augenhöhe waren. Nun endlich sah die Frau Jeshua an. Sie begann zu sprechen, doch das unablässige Schluchzen machten sie so schwer verständlich, dass Jeshua genau hinhören musste, um ihre Worte zu erfassen.
„Herr, vergebt mir“, jammerte sie. „Seit zwölf Jahren habe ich schreckliche Blutungen, die sich nicht behandeln lassen. Kein Arzt hat mir helfen können und auch den Priestern fiel außer Beten nichts ein. Ich wusste mir einfach keinen Rat mehr. Da hörte ich von euch und davon, dass ihr viele Menschen
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