König der Seelen (Höllenfeuer) (German Edition)
„Sie rief die Toten auf, ihr zu folgen. Sie sagte, die Zeit der Gefangenschaft auf dieser Welt ginge ihrem Ende zu. Sie sprach vom Tag des Jüngsten Gerichts!“
Eleanor blieb vor Entsetzen der Mund offenstehen. Erschüttert blickte sie zwischen Raphael und Elizabeth hin und her.
„Der Tag des Jüngsten Gerichts…? Willst du damit sagen, das Ende der Welt steht bevor?“
Raphael erwiderte ihren Blick verstört. „Ich weiß es nicht. Aber die Stimme sagte so etwas…“
Eleanor sank auf die unterste Stufe hinab und starrte in die Dunkelheit. „Ich habe es gewusst“, flüsterte sie. „Jahrtausende seid ihr Engel unentdeckt geblieben. Dann kam ich und habe alles kaputtgemacht.“
Eilig ließ Raphael sich neben ihr nieder und sah sie besorgt an.
„Aber Eleanor. Ist es das, was du glaubst? Dass du schuld bist an all dem? Das stimmt nicht. Du kannst doch nichts dafür.“
„Nein?“, erwiderte sie kraftlos. „Wer hat denn das alles in Gang gesetzt? Wer hat ein Drittel der gefallenen Engel befreit und in den Himmel zurückgebracht? Und wer hat William Foltridge aus der Finsternis ins Licht geholt? Wer immer diese Stimme war – ich kann gut verstehen, wenn er all das mit dem Tag des Jüngsten Gerichts in Verbindung bringt.“
Raphael schwieg. Tatsächlich hatte Eleanor in gewisser Weise Recht. Eine ganze Reihe der Geschehnisse der letzten Wochen deuteten darauf hin, dass sich in der göttlichen Weltordnung etwas verändert hatte. Und es hatte mit Eleanors Taten zu tun, auch daran konnte es keinen Zweifel geben.
„Das kann nicht sein“, erklang in diesem Moment die ferne Stimme Elizabeths. Raphael und Eleanor blickten beide in ihre Richtung und sahen sie an. Raphael fragend, Eleanor frustriert.
„Was meinst du?“, fragte Raphael. „Was kann nicht sein?“
„Das mit dem Jüngsten Gericht.“
„Aber du hast die Stimme doch selbst gehört. Sie sprach davon, dass es unmittelbar bevorstehe.“
„Ja, aber was genau ist denn bitte das Jüngste Gericht?“
Raphael und Eleanor sahen einander fragend an.
„Wie meinst du das?“, fragte Eleanor. „Du willst wissen, was das Jüngste Gericht ist? Das solltest du doch eigentlich wissen.“
„Frag dich doch einmal, wie das Jüngste Gericht ablaufen soll“, erwiderte Elizabeth. Jetzt klang sie fast aufgeregt.
Raphael schnaubte. „Das weiß niemand so genau. Es gibt eine ganze Reihe Texte und Offenbarungen dazu. Zum Beispiel die Apokalypse des Johannes. Er spricht davon, dass es vorher Zeichen geben wird und mehrere Engel Schalen voll Zorn, Krankheit und Feuer über der Welt ausschütten werden. Aber die Aussagen und Vorstellungen vom Weltuntergang widersprechen sich oftmals im Detail. Ich fürchte, wir werden erst wissen, wie das Ende der Welt abläuft, wenn es so weit ist.“
„Ich weiß, dass da widersprüchliche Vorstellungen existieren“, erklang Elizabeths Stimme. „Aber in einem einzigen Punkt kann es keine Zweifel geben. In einem Punkt sagen alle dasselbe.“
„Und welcher ist das?“, fragte Eleanor, nun neugierig geworden.
„Die Toten!“, erwiderte Elizabeth triumphierend. „Die Toten werden sich aus den Gräbern erheben und gerichtet werden!“
„Das stimmt!“, räumte Raphael ein. „Am Jüngsten Tag werden all die Seelen, die sich noch auf der Welt befinden, gleich ob im Reich der Lebenden oder im Reich der Toten, zur Verantwortung gezogen. Damit ist die Aufgabe dieser Welt erfüllt – alle Seelen wurden gewogen und bewertet. Danach kann die Welt untergehen.“
„Genau. Und damit das geschehen kann, verlassen die Toten ihre Totenwelt und mischen sich unter die Lebenden!“
„Ich verstehe nicht, wie uns das helfen kann“, wandte Eleanor ein.
„Aber Eleanor. Du magst etwas in der Welt der Engel und Toten verändert haben. Aber sicherlich nicht so viel, dass Gott nun die Weltordnung zu ihrem Ende führt. Es sind noch immer mehr als genug Engel hier, um die Menschen in Versuchung zu führen. Und unabhängig von der Frage, welche Offenbarung nun am Ende Recht behält – es sind keinerlei Zeichen gesandt worden, die den Weltuntergang angekündigt hätten. Und außerdem – warum richtete sich die Stimme nur an die Toten und nicht ebenso an die gefallenen Engel, die genauso davon betroffen wären?“
„Weil die Stimme nicht von Gott kam und auch nicht in seinem Auftrag sprach“, schloss Raphael langsam.
„Das denke ich auch. Und wenn sie nicht für Gott sprach, dann muss es einer der gefallenen Engel gewesen sein, der
Weitere Kostenlose Bücher