König der Seelen (Höllenfeuer) (German Edition)
Gefühl kenne ich gut!“
Eleanor schrak bei diesen Worten zusammen und stieß einen spitzen Schrei aus. Unmittelbar vor ihr, nur wenige Zentimeter entfernt, stand Lilith, schön und herrlich zugleich, furchteinflößend und gefährlich. Sie glühte und leuchtete von innen heraus, schlug sanft mit ihren mächtigen Schwingen und gab sich im Gegensatz zu den meisten anderen Engeln in Eleanors Gegenwart keinerlei Mühe, ihre wahre Natur zu verbergen.
Lilith schien Eleanors Gedanken zu erraten. „Du weißt, wer ich bin“, sagte sie.
Eleanor stolperte einige Schritte zurück. Dann nickte sie ängstlich.
„Gib dir keine Mühe mich auf Abstand zu halten“, sprach Lilith sanft. „Es gelingt dir ohnehin nicht.“
Eleanor stand wie unter einem Bann. Wie ein Kaninchen vor der Schlange stand sie regungslos da, ließ ihr Gegenüber nicht eine Sekunde aus den Augen und wusste doch, dass sie sich nicht wehren oder gar flüchten konnte.
„Wenn Raphael wüsste, dass ich hier bin, hätte ich jetzt wahrscheinlich ein Problem“, fuhr Lilith fort. Eleanor nahm dabei irritiert wahr, dass sie bei diesen Worten sanft lächelte, so als wäre ihr das gerade recht. Als würde ein Teil von ihr Raphaels Reaktion herbeisehnen…
„Was willst du von mir?“, krächzte Eleanor tonlos. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie am ganzen Leib zitterte und kaum einen Ton herausbrachte.
„Du bist seit zweitausend Jahren der erste Mensch, der einen Engel auch dann erkennen kann, wenn dieser sich vor ihm zu verbergen sucht“, begann Lilith. „Das hat bemerkenswerte Auswirkungen auf die gefallenen Engel in dieser Welt gehabt. Die einen wollten dich um jeden Preis töten. Die anderen haben sich dir förmlich zu Füßen geworfen. Sie waren bereit, mit ihrem Leben das deine zu schützen und etwas Ähnliches hat es noch nie gegeben, seit der Erschaffung der Welt. Einer von ihnen, Raphael, hat mir sogar angedroht, mich aus dieser Welt zu befördern und du weißt recht wohl, was das für ihn selbst bedeuten würde! Du kannst in den Herzen dieser Engel Liebe entfachen und ich wüsste gern, wie du das getan hast.“
Lilith verstummte und sah Eleanor erwartungsvoll an. Das Rauschen der Bäume drang wieder an Eleanors Ohr, das sanfte Tropfen des Regens auf dem Blätterdach zu ihren Köpfen, das Bellen eines Hundes unten im Dorf. Und vor ihr stand im dunkelgrünen Zwielicht der waldigen Landstraße die wunderschöne Lilith in ihrem warmen Funkeln und Leuchten, ein Anblick, der Eleanor den Atem raubte.
„Ich weiß nicht, was ich gemacht habe…“, stammelte sie schließlich unbeholfen. Sie wagte kaum, Lilith in die Augen zu schauen. Verstohlen blickte sie an ihr vorbei zum Eingangstor des Sanatoriums, obwohl ihr vollkommen klar war, dass sie keine zwei Schritte tun könnte, bevor Lilith sie eingeholt hatte.
Lilith schien ihre Gedanken zu ahnen. Belustigt ließ auch sie den Blick zu dem Tor wandern. Für sie wäre es nur ein halber Schritt, um sich zwischen das Tor und das Menschenmädchen zu stellen. Ein Entkommen wäre für Eleanor vollkommen ausgeschlossen.
Mit größter Mühe zwang Eleanor sich schließlich, den Blick zu heben und Lilith anzusehen.
„Ich habe gehört, dass du einmal ein Mensch warst“, sagte sie leise. „Warum wolltest du ein Engel sein?“
Die Frage war heraus, noch bevor Eleanor wirklich darüber nachgedacht hatte. Liliths Reaktion hingegen war etwas, womit Eleanor niemals gerechnet hätte.
Lilith blinzelte verwirrt. Sie klappte den Mund ein paarmal auf und zu, so als wollte sie etwas sagen, doch die Worte verließen ihren Mund nicht. Sie wirkte verletzt und verunsichert. Dann wurde ihr Gesicht plötzlich zornig.
„Warum fragst du mich das?“, zischte sie. „Das geht dich nichts an! Du würdest es ohnehin nicht verstehen!“
Eleanor wich vor Angst zurück. Dass sie Lilith mit dieser Frage zornig machen könnte, hätte sie nie gedacht.
„Ich mag vielleicht ein Mensch gewesen sein, ein schwacher wertloser Mensch! Aber diese Zeiten sind seit langem vorbei. Ich bin nicht länger auf andere angewiesen. Niemand zwingt mir mehr etwas auf, was ich nicht will. Nicht einmal Gott kann das tun. Niemand enttäuscht mich mehr! Niemand stellt sich über mich! Nur ich bestimme über mich!“
Mit diesen Worten war Lilith langsam und bedrohlich auf Eleanor zugegangen, nun stand sie direkt vor ihr und funkelte sie böse an. Seltsamerweise konnte Eleanor in diesem Augenblick nur daran denken, dass Lilith ungewöhnlich klein war. Sie
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