König für einen Sommer: Roman (German Edition)
lückenlos und stichhaltig, dass der Angeklagte in wiederholtem Falle ein unsensibles und rücksichtsloses Verhalten der Klägerin gegenüber an den Tag gelegt hat.
»Was war denn mit denen los?«
»Ach, was weiß ich. Egal. Der Film fängt an.«
»Trainspotting« und Sinatra auf einer Riesenleinwand mitten im Wald. Etwas Abgefahreneres kann ich mir nicht vorstellen. Unsere Münder standen die ganze Zeit über weit offen. Und wir lachten uns die Seele aus dem Leib. Bei der Toilettenszene waren wir die Einzigen, die lachten, und mussten deswegen noch mehr lachen. Wir wurden von allen Seiten mit Müll beworfen und angezischt. Diese Leute nahmen den Film sehr, sehr ernst und fühlten sich durch unser Lachen persönlich angegriffen. Politisch oberkorrekt. Dies ist ein Film über Drogen, und Drogen sind ein ernsthaftes Problem unserer Gesellschaft. Darüber lacht man nicht. Das sieht man sich an und ist ergriffen und bestürzt und betroffen. Und hinterher diskutiert man bei einer guten Flasche Wein darüber. Es können auch zwei oder drei Flaschen werden. Verlogenes Mistpack. Aber wir ließen uns den Spaß nicht verderben. Auch nicht, als wir sanft, aber mit Nachdruck gebeten wurden, das Gelände zu verlassen und frühestens nächstes Jahr wieder zu kommen. Wir packten langsam unseren Kram zusammen und sangen dabei laut »I got a lust for life«.
Den Rest der Nacht verbrachten wir auf dem kleinen Plateau, wo ich mit Kirk beim ersten Mal Sinatra gewesen war. Der König der Welt sah seine Sonne zum letzten Mal aufgehen. Ich genoss jede Sekunde davon. Es würde nie wieder so sein, so königlich.
»Das Zeug muss man doch auch hier kriegen können«, sagte Andi.
»Hmm?«
»Ich meine, LSD muss es doch auch hier irgendwo geben, oder?«
»Weiß nicht. Bestimmt. Aber wo? Ich kenne jedenfalls keinen.«
»Auf der Konsti?«
»Wer weiß, was die dir da andrehen. Nee, kein Bock. Ist mir zu unsicher. Es müsste schon jemand sein, den man kennt und dem man vertrauen kann.«
»Ich hör mich mal um.«
„Ja, mach das. Und jetzt halt die Klappe. Ich will das genießen.«
GROSS UND KLEIN
DAS WAR jetzt schon das zweite Wochenende ohne Sinatra. Er fehlte mir. Nicht körperlich oder so. Ich hatte keine spürbaren Entzugserscheinungen. Das Backenbitzeln fehlte mir; das Gefühl, welches dahinter steckte. König zu sein, nur mal wieder für eine Nacht. Ich fühlte mich zu gewöhnlich, zu normal, keine Höhen, keine Tiefen, gar nichts. Natürlich hätte ich auf die Konsti gehen können und es erzwingen, aber das war es einfach nicht. Sinatra müsste so zu mir kommen, quasi freiwillig, schicksalsmäßig.
»Ich hab da vielleicht einen an der Hand«, sagte Andi.
»Woher?«
»Aus der Uni. Hab ihn gestern in Frankfurt getroffen. Meinte, er hätte da vielleicht 'ne Quelle.«
»Zuverlässig?«
»Ich denke schon.«
»Wie viel?«
»Zwischen zwanzig und dreißig hat er gesagt.«
»Das wäre ja okay.«
»Falls es klappt, wie viel wollen wir nehmen?«
»Erst mal einen, oder? Vielleicht ist das Zeug ja nicht so gut.«
»Lieber zwei. Wer weiß, wie oft er es besorgen kann.«
»Okay, zwei. Wann siehst du ihn das nächste Mal?«
»Nicht vor Anfang nächster Woche.«
»Verdammt. Noch ein Wochenende ohne.«
»Wir könnten ja mal wieder richtig einen trinken?«
»Nee, kein Bock. Das ist nicht dasselbe.«
»Stimmt auch wieder. Was dann?«
»Keine Ahnung. Irgendwas. Egal.«
ANFANG SEPTEMBER , der fünfte Samstag ohne Sinatra. Andis zuverlässige Quelle hatte sich als Reinfall entpuppt. Koks, Ecstasy, Speed, kein Problem. Aber Sinatra schien irgendwie out zu sein. Ich hatte mich damit abgefunden, nie wieder König sein zu dürfen. Es sollte wohl nicht sein. Ich saß mit Kelly im Jenseits. Das Thema Anna war abgehakt. Sie hatte keine Lust, mich wieder zu sehen. Verständlich. Aber wenigstens war Kelly nicht mehr sauer auf mich. Sie schaffte es nie lange, auf mich sauer zu sein.
»Wann fängt eigentlich die Uni wieder an?«, fragte sie.
»Weiß nicht genau. Mitte Oktober irgendwann. Für was hast du dich eingeschrieben?«
»Anglistik und Germanistik.«
»Cool. Vielleicht können wir ja irgendwas zusammen belegen.«
»Du bist doch schon viel weiter als ich.«
»Na ja, es gibt da schon noch so ein, zwei Sachen, die ich nachholen müsste.«
»Wann willst du eigentlich fertig sein mit der Uni?«
»Keine Ahnung. Irgendwann.«
»Und dann?«
»Wenn ich das wüsste, hätte ich vielleicht schon meinen Abschluss. Ich weiß es einfach
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