Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht
geheimen Ort in unserem Kloster verwahren -, dass ich dir die Wahrheit sage. Aristoteles war der bedeutendste Denker der Heiden. Dieses Buch ist so kostbar, dass ich mir vorstellen könnte, dass manche dafür sogar einen Mord begehen würden.«
»Das Haupt des Täufers«, stammelte Heinrich ungläubig. »Es ist hier im Kloster.«
Zenons Zähne blitzten weiß in seinem dichten Bart auf. »Nur einer der zahlreichen Schätze, die wir hier im Kloster verwahren. Kommen wir zurück zu unserem Thema. Glaubst du, dass es Männer gibt, die für Bücher morden würden? Wer zu scharfsichtig ist und in der Bibel liest, der ist in Gefahr, Heinrich. Hast du dir noch nie Gedanken darüber gemacht, ob in der Bibel die Wahrheit steht?«
»Ich glaube, dieses Gespräch bewegt sich weit über die Grenzen meiner Weisheit hinaus«, entgegnete Heinrich ausweichend. Natürlich kannte er solche Zweifel! Aber er wusste auch, dass Zweifel die Saat Satans waren. »Je länger wir miteinander reden, desto weniger kann ich mir vorstellen, wie ich bei der Suche in den alten Codices eine Hilfe sein könnte.«
Ȇberschreiten wir die Grenzen deiner Weisheit oder
deines Mutes?« Der Grieche lächelte wissend, dann bückte er sich nach den Büchern, die neben seinem Lesepult auf dem Boden lagen. »Dies alles sind Bibeln in lateinischer Sprache. Merkwürdigerweise schreibt von allen Evangelisten nur Matthäus über die Drei Könige. Es wäre eine Hilfe, wenn du die Texte miteinander vergleichen könntest.« Er drückte Heinrich den Bücherstapel in die Hand. »Das Lesepult dort drüben habe ich schon gestern für dich hereinbringen lassen.«
»Aber wie konntest du denn wissen …«
Der Mönch winkte ab. »Offen gestanden hätte ich dich mindestens eine Woche zappeln lassen, wenn du nicht den Weg zu mir gefunden hättest. Ich wollte wissen, ob du denken kannst. Dir musste bereits nach unserem ersten Treffen klar sein, dass ich dich beobachten ließ. Ich hatte damit Bardas, einen talentierten jungen Dieb, beauftragt und ihm gesagt, dass er, sobald man ihm auf die Schliche gekommen sei, zum Kloster eilen sollte. Auf meinen Befehl hat er auch darauf geachtet, dass dein Beobachter ihn nicht aus den Augen verlieren konnte. Ich hoffe, dieses Erlebnis ist dir eine Mahnung. Hier in Konstantinopel haben die Wände Ohren, und überall lauern verborgene Augen. Sei also auf der Hut! Und achte auch auf deine beiden Gefährten. Ihr Verhalten könnte das Interesse der Mächtigen auf euch lenken. Man könnte sich zum Beispiel fragen, warum drei Ritter, die angeblich ins Heilige Land pilgern wollen, noch nicht einmal Erkundigungen über die nächsten Schiffe eingezogen haben, die zu den Häfen Outremers segeln werden.«
»Ich werde mich darum kümmern«, entgegnete Heinrich ein wenig verstimmt. Immer wieder von Zenon auf
seine Fehler hingewiesen zu werden, missfiel ihm zunehmend. Er hatte ganz das Gefühl, dass sie seit ihrer Ankunft in Konstantinopel nichts unternommen hatten, von dem der Mönch nicht wusste. Ja, beinahe sah es aus, als habe der Mönch ihre Schritte gelenkt.
Heinrich legte die Bücher neben dem Lesepult ab, das sein Gastgeber ihm zugewiesen hatte. Er hatte schon angefangen, seinen hochtrabenden Lehrmeister ein wenig zu mögen. Aber davor sollte er sich besser hüten! Sein Blick fiel auf eine polierte Bronzescheibe, die in einer Nische halb versteckt hinter Büchern stand. In ihr spiegelte sich die Eingangstür. Dieser Schurke!
»Wie ich sehe, bist du auf meinen Spion aufmerksam geworden. Ich benutze ihn vor allem, um die jungen Mönche zu beeindrucken. Die meisten von ihnen halten mich für einen Zauberer, weil ich stets weiß, wer in der Tür steht, selbst wenn sie keinen Laut von sich geben. Solange sie Respekt vor mir haben, stören sie mich nicht allzu oft mit ihren Fragen.« Zenon lachte trocken. »Außerdem schmeichelt es meiner Eitelkeit, wenn man mich für einen geheimnisvollen Mann hält. Doch das hast du sicher schon erraten, nicht wahr, Ritter Heinrich.«
»Ich halte das für keine gute Idee«, sagte Orlando, der Steuermann, ungehalten.
Ludwig schnippte lässig mit den Fingern. »Darauf gebe ich nicht so viel. Sag mir lieber, ob ich wie ein Adeliger aussehe?«
»Wie ein armer Mann siehst du jedenfalls nicht aus.«
Der Ritter überprüfte noch einmal den Faltenwurf des Umhangs, den er sich von Heinrich geliehen hatte. Seine
Hosen waren neu und wie die der Ritter aus der Leibwache des Kaisers mit aufgestickten Blümchen
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