Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht

Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht

Titel: Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
Vom Netzwerk:
waren.
    »Fremder?«
    Ludwig zuckte zusammen. Sofort schloss sich seine Hand um den Lautenhals, damit der Nachklang der Saiten verstummte. Mit einer schnellen Bewegung schnallte er sich dann das Instrument um den Rücken und kroch zum Rand des Daches. Da stand sie unter ihm. Doch diesmal blickte sie nicht in den Garten hinunter, sondern schaute zu ihm auf.
    »Steig vom Himmel herab, mein Engel mit der Laute.« Ein fremdländischer Akzent schwang in ihrer Stimme. Sie sprach leise, aber eindringlich.
    Ludwig betrachtete für einen Moment den Balkon. Hinabzuklettern war nicht möglich. Er würde springen müssen. Und es gäbe keinen Weg auf das Dach zurück! Wenn
er es wagte, ihr gegenüberzutreten, dann bliebe ihm später kein anderer Rückweg als durch die Flure des Palazzos. Ohne lange zu zögern, schwang er die Beine über den Rand des Daches und ließ sich fallen. Mit einer eleganten Bewegung landete er neben Marina. Sie zuckte zusammen, so als habe sie sein Sprung überrascht. Dann streckte sie ihm die Hände entgegen. Sanft strich sie ihm über die Wange und vergrub dann ihre rechte Hand in seinem Haar. »So also siehst du aus«, flüsterte sie. »Seit ich dich zum ersten Mal gehört habe, habe ich versucht, dich mir vorzustellen. Du hast wirklich langes Haar, wie ein Engel.«
    Ludwig legte vorsichtig und auch ein wenig verlegen den Arm um sie. Marina reichte ihm nur bis zur Brust. Ihr Haar duftete nach exotischen Blüten.
    »Findest du mich schön?«, fragte sie leise. »Ich war es einmal.«
    »So schön, dass du die Eifersucht der Aphrodite fürchten solltest wie einst Helena von Troia.« Ihr Gesicht war makellos und ihre Lippen wohlgeformt. Nur ihr Blick wirkte seltsam abwesend, so als schaute Marina durch alles hindurch.
    »Meine Dienerin sagt auch, dass ich hübsch sei, aber sie ist eine gute Seele. Sie würde alles tun, um mir Freude zu bereiten. Darf ich dich auf meine Weise betrachten?«
    Ludwig sah sie verwundert an.
    Marina hob die Hände und ließ sie über sein Gesicht gleiten. Ihre Fingerspitzen folgten seinen Augenbrauen und strichen über seine Lippen. Dann glitten ihre Hände tiefer, betasteten seine Schultern und seine Brust. »Jetzt kann ich mir besser vorstellen, wie du aussiehst. Du bist sehr groß. Welche Farbe hat dein Haar?«

    Ludwig erstarrte. »Es ist dunkel, fast schwarz.« Plötzlich begriff er. Der Makel, von dem der Bischof gesprochen hatte! Marina war blind! Deshalb all die Fragen, ihr Tasten.
    »Deine Stimme klingt verändert.« Sie legte den Kopf schief, als wolle sie ihn betrachten. Dann befreite sie sich aus seiner Umarmung und trat ein Stück zurück. »Du musst kein Mitleid mit mir haben! Ich glaubte, du seiest gekommen, obwohl du es weißt. Bitte gehe, wenn ich dich erschreckt habe.«
    »Aber so ist es nicht …« Ludwig hob hilflos die Hände. Seine Stimme klang selbst in seinen Ohren erbärmlich unglaubwürdig. »Du bist wunderschön … und …«
    Marina wich zur Tür zu ihrem Gemach zurück. »Niemand liebt eine Frau, die in ewiger Dunkelheit lebt. Mein Mann schämt sich für mich. Er hat Angst, ich könnte ihm blinde Kinder gebären. Aber wenigstens hat er mich nicht verstoßen.«
    »Kein Mann, der seine Frau liebt, würde sie verstecken«, sagte Ludwig. Seine Worten sollten sanft und rücksichtsvoll klingen, und doch wirkten sie von Zweifeln durchdrungen.
    »Er tut es, um mich zu schützen. Weil die Menschen reden. Er hat mir auch von dir erzählt.« Sie lächelte matt. »Du bist doch der Mann im blauen Umhang? Ich habe es sofort gewusst, als er über den Gast redete, den er hinausgeworfen hat. Stimmt es, dass die Barden in Italien von mir singen, von meiner Schönheit?«
    »Nein«, sagte Ludwig leise. »Das war eine Lüge, aber sie würden es tun, wenn sie dich einmal gesehen hätten.« Er blickte zum Himmel hinauf. Der Mond stand schon tief. Trauer überkam ihn. Er war es, der mit Blindheit geschlagen
gewesen war. Welches Recht hatte er gehabt, sich in Marinas Leben zu drängen? »Ich werde gehen«, flüsterte er.
    Sie tat einen Schritt auf ihn zu. Ihre Hände fanden sein Gesicht. »Bleib«, sagte sie. »Nur diese eine Nacht. Mein Mann ist sehr mächtig. Er würde dich überallhin verfolgen, und wenn du ans Ende der Welt fliehen würdest. Nach dieser einen Nacht dürfen wir uns niemals wieder begegnen.«
     
    »Also, was hast du gesehen?«
    Die Dienerin hielt die Augen fest auf seine nackten Zehenspitzen geheftet. »Verzeiht, dass ich Euch geweckt habe, Herr. Doch da

Weitere Kostenlose Bücher