Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht
Obwohl sie all die Monate im selben Zelt gelebt hatten, hatte Lupo sie nie daran arbeiten sehen.
Der Falkner wollte etwas sagen, doch die wenigen Worte, die er in der Sprache des Hirtenvolks beherrschte, waren aus seiner Erinnerung gewischt. Alime schien auch nichts erwartet zu haben. Ohne ein Wort zog sie sich zurück, duldete jedoch, dass Zeynel an der Seite des Falkners blieb.
Er strich dem Jungen über den Kopf. Der Kleine klammerte sich an seinem Bein fest, als wüsste er, was geschehen würde. Schließlich nahm Mahmud ihn auf den Arm. Der Alte hob die Rechte zum Gruß, und Zeynel versuchte die Geste nachzuahmen. »Möge Allah über deinem Weg wachen und dir eine erfolgreiche Jagd schenken, mein Falke.«
Lupo schwang sich in den Sattel. »Hab Dank für deine Gastfreundschaft, Mahmud. Nie werde ich den Winter in deinem Zelt vergessen. Möge Gott über deinen Wegen wachen.«
Der Alte verneigte sich knapp. »Von nun an wird bei jedem Mahl eine Schüssel für dich aufgestellt werden.« Er nahm Zeynel neben sich, und wieder hob der Kleine die Hand zum Gruß, stolz darauf, eine neue Geste der Erwachsenen für sich erobert zu haben.
»Nein, Mahmud. Ich muss meine Jagd beenden und dann zu meinem Herrn zurückkehren. Nie wieder werde ich Gast in deinem Zelt sein.« Der Falkner wendete sein Pferd und folgte dem weiten Tal nach Osten. Er trieb die Stute zur Eile an und umklammerte mit der Linken das kleine Kästchen, in dem er die welke Rose verborgen hielt.
»Allahs Wege sind unergründlich!«, hallte hinter Lupo die Stimme des Alten.
»Und so machten sich die vier auf den Weg, ohne zu ahnen, dass sie verfolgt wurden. Sie durchquerten die roten Steinwüsten des Sinai und die trostlose Negev, waren zu Gast in einsamen Ordensburgen und Bauernkaten und erreichten schließlich das goldene Jerusalem, wo sie einige Tage verweilten, um die Wunder der heiligsten Stadt der Christenheit zu schauen und in der Grabeskirche und auf dem Ölberg zu beten. Doch selbst hier in der Stadt, in der Jesus Christus Güte und Vergebung gepredigt hatte, fanden die vier nicht mehr zusammen. Ihre Freundschaft war zerbrochen, Neid, Verbitterung und Missgunst trugen sie im Herzen. Und noch wussten sie nicht, dass es ihnen bestimmt war, mit einem Toten für jenen Toten zu zahlen, dem sie so lange nachgespürt hatten.«
AM UFER DES RHEINS, NAHE LINN, AM DRITTEN JANUAR 1189
Es hatte aufgehört zu schneien. Dunkelheit lag wie ein Tuch aus Samt über dem Land, und der Mond glänzte hoch oben am Himmel wie ein Schild aus poliertem Silber. Der Schnee knirschte leise unter den Hufen. Seit Stunden war ihnen niemand mehr begegnet. Der Weg vor ihnen wies keine Spuren auf. Misstrauisch blickte Hartmann zu Ingerimm hinüber, der, offensichtlich erschöpft vom Reden, an seiner Seite ritt. Wenn der Maskierte tatsächlich plante, ihn zu töten, dann war dieser Platz für eine Bluttat wie geschaffen. Aber warum erzählte der Alte ihm die Geschichte der Drei Könige, wenn er seinen Tod wollte?
Wie beiläufig ließ Hartmann die Linke auf den Knauf des Schwerts sinken. Dann zog er das Schwert mit einer schnellen Bewegung, während er seine Stute neben das Pferd des Alten trieb. Er holte aus, um dem Alten einen Hieb zu verpassen, der ihn nicht verletzte, sondern nur aus dem Sattel warf.
Doch Ingerimm war keineswegs so erschöpft, wie es den Anschein gehabt hatte. Geschickt ließ er das stumpfe Ende der Lanze hochschnellen, so dass es Hartmann krachend unter dem Kinn traf. Dann versetzte er dem Ritter einen heftigen Stoß mit dem Ellenbogen.
Hartmann hatte Glück, dass er sich beim Sturz nicht im Steigbügel verfing. Der Schnee dämpfte seinen Aufprall. Benommen rappelte er sich auf. Auch der Alte war aus dem Sattel gesprungen, doch er hatte einen Fehler gemacht! Er hatte die Lanze in den Schnee gestoßen und stand nun ohne Waffe da.
Der Ritter stürmte vor und schwang das Schwert in flachem Bogen. Ingerimm machte keine Anstalten auszuweichen. Stattdessen ballte er die linke Faust. Vier Messerklingen schnitten durch den Handschuh. Mühelos fing er den Schwerthieb mit den Messerklingen ab. Kreischend schlug Stahl auf Stahl. Ein kräftiger Ruck zur Seite genügte, und Hartmann wurde das Schwert aus der Hand gerissen. Der Alte nutzte Hartmanns Überraschung. Er stürmte einen Schritt nach vorn und versetzte ihm mit der Rechten einen Stoß gegen die Brust, so dass er rücklings in den Schnee stürzte. Der Angriff des Alten hatte kaum einen
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