Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht
Tag, und die Stadt, die dem Himmel näher ist als irgendeine andere auf Erden, erstrahlte in jenem wunderbaren Lichte, von dem man die Pilger so oft reden hört. Es war mild, der Frühling zeigte sich von seiner angenehmsten Seite, und sie waren zuversichtlich, jenen Berg zu finden, aus dem vor so langer Zeit die Leichen der Heiligen geborgen worden waren. Zunächst aber strebten sie nach Bethlehem, die Geburtskirche zu besuchen. Erst nachdem Zenon dort den letzten Hinweis fand, wagten sie sich erneut in die trostlosen Bergwüsten, zuversichtlich, dass sie von nun an jeder Schritt der Heimat näher bringen würde.«
23
Fast eine Stunde brauchten die Ritter, um den ruinenbedeckten Hügel zu erklimmen. Und wozu? Es gab keinen Ölbaum und auch nichts anderes, was auf königliche Gräber hinwies. Heinrich trat an den Rand einer zerbröckelnden Mauer und blickte über das öde Hügelland. So weit das Auge reichte, sah man Steine und ausgetrocknete Erde. Nur ganz fern am Horizont zeichnete sich blass der Turm der Geburtskirche gegen den Himmel ab. Kaum zehn Meilen waren es von hier bis Bethlehem. Die Stadt war eine Enttäuschung gewesen! Ein winziger Ort aus schäbigen braunen Lehmhäusern. Etwas abseits stand die große Basilika, die einst die heilige Helena über der Geburtsgrotte erbauen ließ.
An der Außenfassade war ein Relief zu sehen, das die Drei Könige in orientalischer Tracht zeigte. Bedeutender jedoch war ein kleines Fresko gewesen, das Zenon in einem abgelegenen Winkel der Kirche gefunden hatte. Es zeigte einen seltsam kegelförmigen Berg im Hintergrund, den eine Festung krönte. Der Vordergrund wurde von der heiligen Helena eingenommen, der einige Krieger die Särge mit den Königsreliquien überreichten. Alles hatte zusammengepasst! Es war genau so, wie es auf den Seiten der ursprünglichen Heiligenvita beschrieben worden war. Obwohl niemand in Bethlehem gewusst hatte, wo genau man die Könige gefunden hatte, sprachen der Text und das Bild eine deutliche Sprache. Auf dem Berg hatten sie Reste von Befestigungsanlagen und ein zerstörtes Kloster entdeckt.
Gewiss waren die Krieger, die Helena die heiligen Könige brachten, von hier gekommen. Aber wo sollten sie das Grab suchen, in dem einst die Gebeine der Könige geruht hatten? In dem alten Text hatte es nur geheißen, Helenas Krieger hätten das Königsgrab in einer Festung nahe Bethlehem entdeckt.
Heinrich blickte über das trümmerbedeckte Bergplateau. Hier könnten sie noch Wochen herumstöbern, ohne etwas zu finden. Und es gab keine Quelle. Sie würden immer wieder weite Strecken reiten müssen, um Wasser zu besorgen. Die Pferde sowie den größeren Teil ihrer Ausrüstung hatten sie am Fuß des Berges zurückgelassen, weil die Tiere den steilen Aufstieg nicht geschafft hätten.
Zenon kam die Mauer heraufgeklettert. Wie es schien, hatte auch er nichts entdeckt, was ihnen weiterhalf.
»Was für eine gottverlassene Gegend«, meinte Heinrich enttäuscht.
»Bist du jemals an einem Ort gewesen, an dem Gott sich heimisch gefühlt hätte?«
Heinrich verdrehte die Augen. Für diese Art Gespräch war es ihm entschieden zu heiß. »Hast du etwas gefunden?«
Der Mönch nickte. »Gefunden habe ich einiges, doch nichts, wonach wir suchen. Es sieht so aus, als sei das Kloster, das hier einmal stand, niedergebrannt worden, ebenso wie die alte Festung, die schon lange zerstört ist.«
Heinrich deutete auf eine Rauchsäule weit im Süden. »Wie es scheint, nichts Ungewöhnliches in dieser Gegend.« Auf ihrer Reise durch das christliche Königreich Jerusalem hatten sie erfahren, dass es zu Kämpfen an der syrischen Grenze gekommen war und dass Trupps der Sarazenen bis tief ins Land vordrangen. Zenon hatte sie daraufhin mit
zusätzlichen Waffen und besseren Rüstungen ausgestattet, um ihre Verluste aus Konstantinopel auszugleichen. Anno und Ludwig waren verwundert gewesen, dass der Mönch so viel Geld bei sich trug, doch Heinrich überraschte an dem Griechen gar nichts mehr.
»Wir haben es gefunden!« Anno winkte ihnen von unten. »Kommt herunter! Hier sind die Wurzeln eines Baumes unter den Steinplatten des Hofs. Hier muss das Grab gewesen sein!«
»Endlich!« Heinrich packte den Mönch bei den Armen und schüttelte ihn. »Endlich ist es geschafft! Unsere Suche findet ihr Ende.«
So schnell er konnte, kletterte Heinrich die Mauer hinab und eilte zu seinen Kameraden. Anno und Ludwig hatten noch mehr Steintrümmer zur Seite geräumt und einen halb verkohlten
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