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Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht

Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht

Titel: Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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zum Preis für seine Freiheit gehört? Diente der Grieche wirklich nur wegen des Buches, das Rainald ihm versprochen hatte?
    »Ich gab meinen Dienst für den Basileios auf, als ich nach Konstantinopel zurückkehrte. Der, der ich einst war, war in der Grotte gestorben. Bei den Mönchen hoffte ich Frieden zu finden. Doch die Angst kommt jede Nacht, ganz gleichgültig, wo ich bin. Ich tauge zu nichts mehr, wie du siehst.«

    Schweigend saßen sie einander gegenüber. Ein erster Streifen Morgenlicht kroch zaghaft über die Berge im Osten und schnitt ihre Silhouetten aus der Finsternis.
    Falls Zenon auf eine Entgegnung Heinrichs gehofft haben sollte, verbarg er seine Enttäuschung gut. Seine Kutte mit dem groben Faltenwurf ließ in dem grauen Licht seine Gestalt mit dem Felsen, auf dem er saß, beinahe verschmelzen.
    »Dies ist die Stunde des Wunders«, sagte der Mönch mit tonloser Stimme. Er erhob sich und sah sich suchend um. Misstrauisch folgte Heinrich jeder seiner Bewegungen.
    »Zu deiner Zeit als Mönch wirst du gewiss den Pentateuch, die fünf Bücher Mose, gelesen haben. Genesis, Exodus, Leviticus, Numeri und Deuteronomium. Erinnerst du dich, wie im Exodus das Brot des Himmels beschrieben wird? Das Manna, die Speise, die der Herr seinem Volk an jedem Morgen schenkte, damit es auf dem langen Weg durch die Wüste Sinai nicht verhungerte. Demetrios sagt, man könne hier im Garten manchmal im ersten Morgenlicht Manna finden. Vor allem im Sommer. Die Mönche des Klosters sammeln es und verwahren es in irdenen Krügen, tief in Kellern, um manchmal Fürsten und Könige damit zu beschenken.«
    Der Mönch trat in den Garten, der im Schatten einer Felsspalte verborgen lag. Letzte Schatten der Nacht klammerten sich an die Westflanken der morgenroten Berge und die tiefen Spalten im Fels. Zenon war eins geworden mit dem Zwielicht. Heinrich erhob sich und ging ihm nach. Er wünschte sich, der Mönch hätte geschwiegen! Gestern noch war er nur ein verstockter Kerl voller Wissen und Geheimnisse gewesen. Verschroben, abweisend, arrogant und, Heinrich musste es sich widerwillig eingestehen, beeindruckend.
Jetzt war er ein Mann, der einst ausgezogen war, Kaiser Barbarossa zu ermorden!
    Die Sonne schickte Herolde mit blutroten Fahnen zu den Gipfeln, die davon kündeten, dass sie bald die Herrschaft über den neuen Tag antreten würde. Zenons Gesicht wurde aus der Dunkelheit gerissen. Er hielt etwas vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger. Ein winziges Kügelchen, kleiner noch als eine Erbse.
    »Gott ist selbst in diesem Tal am Ende der Welt! Sieh, er hat uns seine Speise geschickt! Das Brot des Himmels! Manna!«
    Zenon sah majestätisch aus, als er aus dem finsteren Felsspalt zurückkehrte. Eine hohe Gestalt mit Haaren, die wie Flammenzungen im Morgenlicht leuchteten. Und seine Augen! Solche Augen sollte kein Mensch haben! War es Anno gewesen, der den Mönch mit einem Erzengel verglichen hatte?
    »Koste davon, Heinrich! Es ist wie in der Bibel. Es schmeckt nach Sesam und Honig. Das ist das erste Mal, dass ich Zeuge eines wahrhaftigen Wunders werde. Kein Busch und kein Baum in diesem Tal trägt eine Frucht. Es kommt aus dem Himmel! Sieh selbst!« Er packte den Ritter beim Arm und zog ihn mit sich.
    Der Mönch, vor dem Heinrich so tiefen Respekt, ja sogar Angst empfunden hatte, kroch wie ein kleiner Junge über den Boden. Aufgeregt hielt er seine Beute hoch, wenn er kleine Mannakugeln fand.
    Heinrich kniete nieder und betete. Hatte Gott ihnen damit ein Zeichen geschickt? Wäre nun bald alle Mühsal beendet? Der Ritter öffnete die Augen und sah sich um. Er saß inmitten eines wunderbaren Gartens. Bäume und Büsche
waren dem roten Fels abgerungen. Ein Paradies in einer Einöde. Doch er konnte keine Freude empfinden. Nie hatte er sich so verlassen gefühlt. Heinrich spürte, dass er beobachtet wurde. Er wandte sich um.
    Zenons Engelsaugen schienen ihn zu durchbohren. Seine Kutte war voller Flecken von feuchter Erde. Ein Busch hatte ihm eine rote Schramme durch das Gesicht gezogen. Er hielt die Hände aneinandergelegt, so wie man es tut, wenn man Wasser aus einem Fluss schöpfen will. Sie waren gefüllt mit Mannakugeln.
    Der Ritter schüttelte den Kopf. »Ich werde selbst danach suchen.« Er wandte sich ab.
    »Dein Fluch ist, dass du niemals zu verzeihen gelernt hast«, hörte er hinter sich die Stimme des Mönchs.
     
    Mahmud stieß neben dem Knaben einen gekrümmten Dolch in den Sand. Mit seinen dürren Fingern zerrte der Alte an

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