Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht
an den man vor Rainald fliehen kann«, rief Ludwig aufgeregt. »Er ist der Reichskanzler, die rechte Hand des Kaisers!«
»Und deshalb müssen wir ihn mit seinen Waffen schlagen, mit Heimtücke und Erpressung! Erinnerst du dich an den Tag, als die Särge der Könige vom Karren gestürzt sind? Ich habe damals beobachtet, dass Anno als Erster den Hang hinuntergeklettert ist. Noch bevor er starb, hat er mir anvertraut, der dritte König habe zu ihm gesprochen. Ich war zu weit entfernt, um zu erkennen, was genau er mit dem dritten König tat. Erinnerst du dich an etwas?«
Ludwig schloss die Augen, als könne er auf diese Weise die Bilder der Vergangenheit wieder lebendig werden lassen.
Ricardo blickte den dreien nach, wie sie über den Heumarkt nach Norden gingen. Dieser Narr hatte tatsächlich geglaubt, er würde ihn ziehen lassen! Nicht einmal hatte sich Rainalds schwarzer Mönch umgesehen, so sicher schien er sich zu fühlen. Erst hatte Ricardo vermutet, der Kerl wolle die Lorbeeren allein einheimsen, indem er Ludwig ergriff und zum Erzbischof brachte. Doch was er dann belauscht hatte, war fast zu schön gewesen, um wahr zu sein. Nur schade, dass er den ersten Teil des Gesprächs verpasst hatte.
Die drei hatten den Markt überquert und verschwanden in einer Gasse. Es wäre klüger, einen anderen Weg zum Domplatz zu nehmen. Ricardo schritt durch das Markttor und dann vorbei an der Sankt-Lorenz-Kirche. So gelangte er geradewegs zur Rückseite des erzbischöflichen Palastes.
Er fand seinen Herrn in jener Kammer, in der Rainald seine Tagesgeschäfte zu erledigen pflegte. Ihm gegenüber hing über einer hohen Stuhllehne der festliche Ornat, den er morgen zu seiner Weihe als Erzbischof tragen würde.
Rainald hörte ihm mit versteinerter Miene zu. »Und jetzt sind sie im Dom?«, fragte er, als Ricardo mit seinem Bericht zu Ende gekommen war.
Der Söldner nickte.
»Auf heiligem Boden kann ich sie nicht festnehmen lassen. Wenn ich meine Waffenknechte trotzdem schicke, dann wird morgen in der halben Stadt bekannt sein, dass etwas im Dom geschehen ist. Weißt du, was sie dort suchen? Womit wollen sie mich erpressen?«
»Das konnte ich nicht verstehen. Es schien, als sei sich der Mönch selbst noch nicht darüber im Klaren, was er suchte. Lasst mich gehen, Herr. Mir könnt ihr trauen!«
Rainald bedachte ihn mit einem zweifelnden Blick. »Allein? Ich weiß, wer der Mönch früher war. Du hast selbst gesehen, wie leicht er damals Ludwig entwaffnete. Traust du dir wirklich zu, gegen ihn zu bestehen?«
»Nicht, wenn ich mit ihm die Klinge kreuze. Doch das wird nicht notwendig sein. Sorgt euch nicht, Herr. Ich werde diese drei Verräter zur Hölle schicken. Wenn Ihr morgen Eure Weihmesse begeht, wird ihr Tod mein Geschenk an Euch sein.«
Der Erzbischof machte ein nachdenkliches Gesicht. »Der
Mönch hat mehr Leben als eine Katze! Es genügt, wenn du die Verräter dazu bringst, aus dem Dom zu flüchten. Ich werde an allen Eingängen Wachen postieren. Sobald sie herauskommen, werden sie in Ketten gelegt, und bei Morgengrauen lasse ich sie in einem geschlossenen Wagen heimlich zur Arre-Burg schaffen. Der Graf dort stellt keine Fragen, wenn ich ihm ein paar Gäste für seine Felsenkeller überantworte. Sobald ich Cöln verlassen kann, will ich selbst Zeuge ihrer Hinrichtung sein. Ich will den Mönch tot sehen! Erst dann werde ich ruhig schlafen.«
»Ihr werdet nicht so lange warten müssen, Herr.«
31
Heinrich holte einen Schlüsselbund hervor und öffnete die kleine Seitenpforte zur südlichen Vorhalle des Doms. Es war alles ruhig auf dem Platz. Um diese Zeit war nicht mit Mönchen oder anderen Besuchern zu rechnen. Bis zur vigilia, dem Nachtgottesdienst, würden noch viele Stunden vergehen.
»Unter dem Dom führt ein geheimer Gang zum Bischofspalast«, erklärte er Clara und Ludwig, die ungläubig auf die offene Pforte starrten. »Wenn ich ungesehen zu Rainald gelangen wollte, benutzte ich stets diesen Weg. Der Tunnel ist nur einigen seiner engsten Vertrauten bekannt.«
Zögerlich folgten ihm die beiden. Sie vertrauten dem schwarzen Mönch ganz offenkundig nicht, aber das hatte
Heinrich auch nicht erwarten können. Ludwig hatte ihm sein Unglück zu verdanken, und Clara musste seine furchtbare Erscheinung abschrecken. Oder ahnte sie etwas? Er spürte ihre Blicke im Rücken.
Durch die Vorhalle gelangten sie ins südliche Seitenschiff. Vor einigen der Altäre brannten Kerzen, so dass es nicht völlig finster war.
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